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Candy

Candy

Titel: Candy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Brooks
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Lichter   …
    Keine Mädchen.
    Keine Angst.
    Kein Chaos.
    Und auch kein Taxi.
    Der Stand war leer. Über Nacht geschlossen.
    Es machte mir nicht wirklich was aus. Unser Haus liegt nicht weit vom Bahnhof entfernt – die Station Road entlang, über die Brücke, die Church Lane weiter und dann in den Weg rein   –, außerdem war es eine schöne, klare Nacht, frisch und winterlich, genau richtig, um zu Fuß zu gehen. Also machte ich mich auf – ging langsam, atmete tief und versuchte einen klaren Kopf zu bekommen.
    Manchmal, wenn ich gehe, hilft mir der Klang meiner Schritte beim Denken. Es ist der gleich bleibende Rhythmus, nehme ich an, der metronomische Klang der Schritte auf dem Pflaster –
tap, tap   … tap, tap   … tap, tap   … tap, tap
–, der immer weitertickt wie ein Herzschlag, den Körper beruhigt und den Kopf freimacht fürs Denken. Es funktioniert nicht immer, aber ich hoffte, in dieser Nacht doch, denn mein Gehirn und mein Körper waren noch immer |44| in einem Schockzustand: In meinem Bauch wanden sich Horrorschlangen und gaben mir das Gefühl, krank zu sein; mein Kiefer schmerzte vom Zähneaufeinanderbeißen; mein Herz war wie zerrissen; und, was das Schlimmste war, eine nervige kleine Stimme hörte nicht auf, im Hinterkopf vor sich hin zu wimmern und mich immer wieder daran zu erinnern, was
vielleicht
hätte passieren können, was
tatsächlich
hätte passieren können und was beinahe
wirklich
passiert wäre.
Du hattest echt Glück
, sagte sie mir immer wieder.
Das weißt du doch, oder? Du hattest Glück. Es hätte alles viel, viel schlimmer ausgehen können   …
    Ich wusste es.
    Ich wusste viele Dinge.
    Ich wusste, dass Candy eine Prostituierte war und Iggy ihr Zuhälter. Ich wusste, sie verkaufte ihren Körper, sie tat den ganzen Tag Dinge, die ich mir nur vorstellen konnte, sie
hieß
vielleicht nicht mal Candy. Ich wusste, sie hatte mich gelinkt, ein Spiel mit mir getrieben, sich auf meine Kosten amüsiert. Ja, ich wusste das alles. Ich
wollte
es aber nicht wissen. Ich wollte glauben, dass sie einfach ein Mädchen war   … einfach ein Mädchen, das ich am Bahnhof getroffen hatte   … ein Mädchen, das mich mochte   …
    Aber so naiv war ich nicht.
    Nein, es gab keinen Weg drum herum – Candy war eine Prostituierte und Iggy ihr Zuhälter. Und das hätte das Ende sein sollen. Das Ende einer sehr kurzen und sehr peinlichen Liebesgeschichte: Junge trifft Mädchen, Mädchen lächelt Jungen an, er kauft ihr einen Donut, sie kitzelt seine Finger, er wird zu Pudding, dann trifft ihr Zuhälter den Jungen, erschreckt ihn zu Tode, Junge geht nach Hause, fühlt sich belämmert.
    Ende.
    |45| So hätte es sein sollen.
    Und so war es auch – bis zu einem bestimmten Punkt.
    Ich war zu Tode erschrocken.
    Ich fühlte mich belämmert.
    Ich ging nach Hause.
    Aber es gab noch etwas anderes   … etwas, das mich nicht mehr losließ   … etwas, das mit der Berührung ihrer Finger anfing.
    Die Berührung war immer noch da.
    Candys Berührung. Ich konnte sie noch spüren, eingeprägt in die Erinnerung meiner Haut: heiß, kalt, elektrisierend, ewig, die Berührung einer anderen Person. Erhebend, prickelnd, berauschend. Und als ich die Straße entlangging, konnte ich nicht aufhören, meine Finger anzusehen und nach der Stelle zu suchen, wo sie mich berührt hatte. Ich wollte unentwegt meine eigene Haut spüren, die Erinnerung anfassen, aber ich hatte auch Angst, dass das Berühren von außen das Gefühl im Innern vertreiben würde   …
    Und das war nur der Anfang.
    Tief unten in mir, begraben unter all dem Chaos, nahm ich ein Gefühl wahr, das ich vorher noch nie empfunden hatte. Ich wusste nicht, was es war. Ich wusste nicht, ob es ein gutes oder ein schlechtes Gefühl war oder irgendwas dazwischen   … Ich war nicht mal sicher, ob es überhaupt ein Gefühl war. Es war einfach irgendwas – ein unbekannter Farbton, ein kaum wahrnehmbares Zeichen, wie eine flackernde Kerze auf einem fernen Hügel. Ich wusste, es war da, aber die meiste Zeit war es zu schwach, um es zu sehen, und selbst wenn ich es sah, konnte ich nicht sagen, ob ich es sah oder hörte oder roch oder spürte   …
    Es war zu vieles auf einmal: ein Licht im Dunkeln, eine weinende |46| Stimme, der Duft frisch gewaschener Haut, irgendein wunderbares Vergessen   …
    All das ergab keinen Sinn.
    Und auch ich ergab keinen Sinn.
    Ich hatte inzwischen das Ende unserer Straße erreicht, aber ich konnte mich nicht erinnern, wie ich dort

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