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Candy

Candy

Titel: Candy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Brooks
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Schule.«
    »Okay.«
    Er nickte wieder, zögerte einen Moment, dann ging er hinaus und schloss die Tür.
     
    Etwas, das total unheimlich ist: Wenn deine Mum und dein Dad sich scheiden lassen und deine Mum zieht aus und lässt dich und deine Schwester bei deinem Dad zurück und kommt euch nie besuchen – aber dann, ein Jahr später, fangen deine Mum und dein Dad wieder an, sich zu treffen, gehen zusammen aus, verlieben sich wieder ineinander und trotzdem kommt sie euch nie besuchen   …
    Das ist total unheimlich.
     
    Nachdem Dad weg war, ging ich nach oben in mein Zimmer und legte mich auf den Fußboden. Ich liege gern auf dem Fußboden. Es ist ein guter Ort zum Liegen. Du kannst die Augen schließen und die Bewegungen des Hauses spüren, wie sie in deinem Rückgrat beben. Du kannst dem Geräusch deines Herzens lauschen, dem Geräusch des Blutes, dem Geräusch der Maschine |50| unter deiner Haut. Du kannst die Augen öffnen, an die Decke starren und dir vorstellen, sie sei dein ganz persönlicher Himmel. Oder du kannst einfach daliegen, vollständig ruhig, und absolut nichts tun.
    Ich probierte alles aus an jenem Abend, aber nichts schien zu helfen. Das Geräusch meines Herzens war zu zermürbend und die einzigen Bewegungen, die ich spürte, stammten von Gina und Mike im Zimmer über mir.
    Gina ist meine Schwester und Mike ihr Freund.
    Sie hatten mich wahrscheinlich kommen hören, deshalb
machten
sie ehrlich gesagt gar nichts Besonderes. Nach dem zu urteilen, was ich hörte, saßen sie bloß rum, redeten leise und rührten sich ab und zu, indem sie mit den Füßen den Rhythmus zu dem gedämpften Groove ihres Lieblings-R&B schlugen.
    Gott, ich hasse R&B.   Dieses schreckliche Gejammere, diese grauenvollen zittrigen Stimmen – das geht mir echt auf die Nerven. Als sie noch jünger war, hat Gina die ganze Zeit R&B gehört, richtig laut, Tag und Nacht. Es hat mich wahnsinnig gemacht.
    Wie kannst du nur so was hören?
    Mir gefällt’s.
    Aber es ist doch deprimierend   …
    Inzwischen nervt es mich nicht mehr so. Ich mag die Musik zwar immer noch nicht und ab und zu nörgele ich auch noch rum, doch ich hab’s aufgegeben, Ginas Geschmack verändern zu wollen. Ihr gefällt R&B eben, die Musik macht sie glücklich und mehr gibt es dazu nicht zu sagen.
    Wie auch immer, jedenfalls lag ich eine Weile da, versuchte die gedämpfte Musik zu überhören und mich in den Mustern der Deckenplatten zu verlieren, doch es gelang mir nicht. Ich konnte |51| mich nicht entspannen.
    Ich stand auf, machte den Fernseher an und stellte den Ton gerade so laut, dass er die Musik übertönte, dann schnappte ich mir meine Gitarre aus der Zimmerecke und fing an, ein paar Akkorde zu schlagen. Soweit ich mir bewusst war, spielte ich nichts Bestimmtes, sondern klimperte nur rum   … einfach mal sehen, was passiert   … und wiederholte gedankenlos immer die gleichen magischen Akkorde   – G zu C, G zu C – wieder und immer wieder   … schön und langsam, tief und schwer, offen und rau, und ließ die Harmonien sich selbst finden.
    Nach einer Weile kristallisierte sich die Basis eines Songs heraus. Zärtlich und schwermütig, eine Melodie von Traurigkeit durchdrungen   …
    Ich hatte nicht vor, sie traurig klingen zu lassen. Aber so fühlte ich mich. Und darum geht es in der Musik – sie muss klingen, wie du dich fühlst.
     
    Ich weiß, es wirkt irgendwie erbärmlich – dazusitzen, sich in Selbstmitleid zu wiegen und einen Herzschmerz-Blues zu spielen, als hätte ich gerade die Liebe meines Lebens verloren, obwohl ich in Wirklichkeit nur meine Würde verloren hatte – aber erbärmlich zu sein ist wie gesagt nicht das Schlimmste auf der Welt, oder?
     
    Eine der besten Wirkungen von Musik ist, dass sie die Zeit auflöst. Du kannst stundenlang dasitzen, dir Songs ausdenken, die Melodien spielen, mit verschiedenen Akkorden und Variationen herumprobieren und die Zeit scheint sich einfach in Nichts aufzulösen. Es ist manchmal wirklich unheimlich. Du schnappst dir um zehn Uhr morgens deine Gitarre, fängst an zu spielen   … und das |52| nächste Mal, wenn du auf die Uhr schaust, ist es vier Uhr nachmittags. Und du hast dich kein bisschen vom Fleck gerührt. Du hast nichts gegessen. Du bist nicht mal aufs Klo gegangen. Es ist fast, als ob du betäubt wärst, und wenn du wieder zu Sinnen kommst, kannst du dich nicht erinnern, was du gemacht hast.
    Doch das Gefühl ist okay.
    Und genau so war es in jener Nacht.
     
    Versunken in der Zeit,

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