Cantucci-Herzen brechen nicht: Roman (German Edition)
Schulter, um es in ihre riesige Umhängetasche zu stopfen. » Müssen wir eigentlich hier in der Diele herumstehen? Komm schon, ich war die halbe Nacht auf, ich fühle mich wie ein Pferdearsch, und ich brauche dringend einen Kaffee.«
» Mit was für einem Scheiß?«, fragte Lily und versuchte, ihre Unsicherheit zu verbergen, während sie ihrer Schwester in die Küche folgte. » Du weißt, du kannst nicht einfach so bei mir hereinschneien und…«
Aber mit so etwas kam sie bei Rose wahrhaftig nicht durch. » Weißt du was?! Ich habe Al alleine mit einem Haufen brüllender Kinder zu Hause gelassen«, fuhr sie ihre Schwester an. » Zwei davon haben die Windpocken, und eins weigert sich, aus dem Haus zu gehen wegen ›Mädchenviren‹. Aber ich hatte Todesängste, dass meine Schwester, die schon seit wer weiß wie lange nicht mehr mit mir spricht, eine Dummheit begehen könnte, wie zum Beispiel Selbstmord.«
» Selbstmord?«
» Ja!« Rose kochte vor Wut und knallte die Kaffeekanne in die Maschine. » Glaubst du, nur weil du aus meinem Leben verschwindest, denke ich nicht mehr an dich? Oder mache mir keine Sorgen um dich? Ich mache mir Sorgen wie verrückt, und glaube mir, ich habe genügend eigene Probleme am Hals. Lily, ich kann mir nur vage vorstellen, was du durchgemacht hast, und wenn ich mit dir tauschen könnte, würde ich das wahrscheinlich tun. Wirklich, das würde ich, gerade heute würde ich das verdammt noch mal tun. Doch ich kann es nicht. So ist das eben. Das ist halt das, was wir haben, und wir müssen damit weitermachen. Aber schau dich an, Lily– du bist ein Wrack. Und du warst ziemlich betrunken am Telefon. Stockbetrunken! Du hast geklungen wie Mom.«
Scham riss den Schorf von Lilys puckernder Wunde, und für den Bruchteil einer Sekunde überlegte sie, ob sie sich in Roses Arme stürzen sollte, um den Kummer herausbrüllen zu können, den sie so lange dank ihrer meisterhaften Selbstbeherrschung verborgen hatte.
Sie wusste, ihre Schwester würde sie auffangen, ohne einen Moment zu zögern– sie war schon immer die Versöhnlichere, die Liebendere, die Liebenswertere–, aber Lily suchte schon so lange Zuflucht hinter ihrer kühlen, distanzierten Fassade, dass sie nicht wusste, wie sie sie ablegen konnte. Sie stand einfach wortlos da und krampfte ihren Morgenmantel am Hals zusammen, bis sie erlöst wurde von Roses Handy, das klingelte.
» Was ist denn jetzt schon wieder?«, bellte Rose in den Hörer. » Tja, keine Ahnung. Sag ihr, dass du ihr eine Tonne Süßigkeiten kaufst, wenn sie sich nicht kratzt. Lass dir was einfallen!« Sie verdrehte die Augen. » Dann sag ihm, dass es in unserem Haus wahrscheinlich mehr Mädchenviren gibt als in der gesamten Nachbarschaft, inklusive der Toilettentüren, und dass er sterben wird, wenn er den ganzen Tag drinnen hockt, weil Windpockenviren viel schlimmer sind und keinen Unterschied machen zwischen männlich und weiblich.«
Während sie das Handy zwischen Ohr und Schulter klemmte, goss sie Kaffee in zwei Tassen. » Herrgott, Al, ich versuche hier, das Chaos mit Lily zu klären, und du… Nein, es geht ihr gut. Wie immer.« Sie drehte sich um und sah Lily an, die nach wie vor wie angewurzelt dastand. » Grüße von Al«, sagte sie knapp, aber dann wurden ihre Gesichtszüge weich. » Hey, mein Süßer«, sagte sie. » Wie geht es dir? Ich weiß, dass es juckt, aber es wird aufhören. Du darfst nur nicht kratzen. Vielleicht liest Daddy dir aus Harry Potter vor, wenn du ihn ganz lieb fragst. Was hältst du davon? Okay, klar, oder ihr seht euch Transformers an, sicher, was auch immer. Ich komme bald nach Hause.« Sie lachte. » Ja, sage ich ihr. Ciao ciao.«
Sie ließ das Handy in ihre Tasche zurückgleiten. » Harry sagt, er vermisst dich.«
Lily erwiderte nichts. Sie hatte Angst davor, was passieren würde, wenn sie den Mund öffnete.
» Obwohl, genauer gesagt, er ›vermifft‹ dich aufgrund eines unglücklichen Zwischenfalls, an dem ein Baseballschläger und ein Schneidezahn beteiligt waren.« Rose ließ sich auf einen Stuhl fallen. » Komm schon, Lily, setz dich, ja? Sonst wirkt die Küche so ungemütlich.«
Lily stieß ein Räuspern aus und setzte sich langsam, während sie versuchte, jeden Gedanken an Roses chaotisches, lautes Haus voller liebenswerter Kinder mit einem plötzlichen Juckreiz zu verdrängen.
» Al arbeitet nicht?«, fragte sie. Al war Bauunternehmer und hatte sich auf die Renovierung alter Kolonialhäuser spezialisiert, von denen es
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