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Carambole: Ein Roman in zwölf Runden (German Edition)

Carambole: Ein Roman in zwölf Runden (German Edition)

Titel: Carambole: Ein Roman in zwölf Runden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Steiner
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mir vorausging und mir eines Tages den richtigen Weg weisen würde. Ich würde es erst im letzten Moment erfahren.
    Fünfzehn Jahre lang hatte er beim Bauern Hartmann als Knecht gedient. Er hätte immer dort bleiben können, denn bei Hartmann war er aufgehoben. Und weil Hartmann ein Stolzer war, war auch Heinz ein Stolzer. Man soll das nicht verteufeln, das Knechttum, es ist nur das Wort, das so unmenschlich klingt. Heinz war fleißig, immer bereit, er konnte auch gut mit dem Vieh. Doch eines Tages ging es zu Ende mit Hartmann, das Vieh wurde versteigert, der Hof begann zu verfallen, und Heinz stand da mit leeren Händen. In dem ganzen Unglück zeigte wenigstens einer Erbarmen und schenkte ihm ein Zelt aus alten Armeebeständen. Es war mickrig, aber der kurzgewachsene Heinz konnte problemlos darin stehen. Er richtete sich auf der Gemeindewiese ein, ganz am unteren Rand, wo der Feldweg zum Wald hinüberzieht. Das ging in Ordnung, sie wussten, so einen wie ihn konnte man nicht in den Türkenblock stecken. Tagsüber stand Heinz fortan an der Straße, die Hände in den Hosentaschen, und wartete.
    Ich selber nickte ihm bloß zu, wenn ich mich auf den Weg in die Hirscheneck machte. Seine Grimasse im Rücken, schlurfte ich die Straße hinunter, überquerte den löchrigen Parkplatz und stieg die Treppe hoch. Ich stieß die Tür auf, umrundete den gläsernen Fischteich, ging am Stammtisch vorbei, nach hinten ans Fenster, ich setzte mein Hinterteil sachte auf den Stuhl, und mein Bier kam an der Hand der Katzigen herangeflogen, die ihren Lippen ein seelenloses »Wohl bekomm’s!« entließ, sich umdrehte und mit den Hüften ein paar Stühle zurechtschubste, ich setzte an, nahm drei kräftige Schlucke, stellte das Glas zurück, wischte mit dem Handrücken den Mund ab. Und dachte keine Sekunde an Heinz, der noch immer auf der Straße stand und wartete.
    Zweimal täglich ging ich in die Hirscheneck, um mein Bier zu trinken. Obwohl ich denen nicht zuhörte, die sich am Stammtisch das Neueste und das Immergleiche erzählten, perlte die Geschichte des Dorfes tröpfchenweise in mein Gedächtnis. Ich sprach mit niemandem, doch es gab nichts, worüber ich nicht Bescheid wusste. Auch über Heinz war ich informiert.
    Zwergenheinz hatten sie ihn früher genannt. Inzwischen war er immun gegen solchen Spott. Die aufstrebenden Dorfprinzen und Jungrüpel erfanden neue Namen für ihn, wofür sie von den Älteren gescholten wurden. Er hat’s nicht leicht, sagten sie, und die jungen Leute fühlten sich erst recht gekitzelt. Koboldenheinz, Spatzenheinz, Stinkpfropfen, Glotzstecken. Heinz stellte die Ohren auf Durchzug. Und wartete. Um sein Zelt herum begannen sich alsbald undefinierbare Gegenstände anzusammeln. Allerlei Unbrauchbares fand seinen Weg zu einem, der nichts zu tun hatte und sich vorbereitete auf die Zeit, in der es wieder etwas zu tun gäbe. Kesselartige Hohlkörper, birnenförmige Wurfdinger, hanfgrobe Tarnobjekte. Eckiges, Geschnitzeltes, Schaumwucherndes. Man warf im Vorbeigehen einen flüchtigen Blick darauf und dachte sich: Bald holen sie ihn ab, den Verlumpten. Und es kam der Tag, als es die Gemeinde tatsächlich nicht länger tragbar fand. Heinz wurde sanft, aber bestimmt in die zivilisierte Welt einverleibt und landete im Türkenblock. Neben der Wohnung, als kleines Zugeständnis, stellte man ihm eine Garage zur Verfügung. Sie war in kürzester Zeit heillos überfüllt.
    Heinz hielt sich kaum in seiner Wohnung auf. Was hätte er da auch machen sollen? Er war Knecht, hatte immer nur seinen Verschlag gehabt bei Hartmann. Manchmal sah man ihn auf dem Vorplatz der Garage, die Hände nicht in den Hosentaschen, sondern an einem Besen. Aber es funktionierte nicht. Er konnte an diesem Ort nicht wischen, so wie bei Hartmann, wenn die schwere Arbeit getan war. Und während er an der Straße auf bessere Zeiten hoffte, verwaiste das Zelt auf der Gemeindewiese, bis es eines Tages unerwartet in meinem Garten stand. Die drei Jungs, die ihr Hauptquartier unter meinem Kirschbaum haben, hatten sich einen Jux erlaubt und warteten auf eine Reaktion von mir, aber den Gefallen tat ich ihnen nicht. Ich saß unbewegt am Fenster und wartete auf meinen nächsten Biertermin.
    Nachdem Heinz zwangsumgesiedelt worden war, versuchte ich mein stummes Nicken auf dem Weg in die Hirscheneck mit einem gütigen Lächeln anzureichern. Mehr schaffte ich nicht. Alle Aufmerksamkeit, die ich aufbringen konnte, gehörte meinem Morgen- und meinem Nachmittagsbier.

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