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Caras Gabe

Caras Gabe

Titel: Caras Gabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maya Trélov
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meinen Schatten übergroß auf dem Boden vor mir und an der Wand dahinter aufragen. Vergilbte Vorhänge baumelten schlaff und ausgefranst vor den geschlossenen Holzläden und eine dicke Staubschicht bedeckte den Boden, den Schrank, die Stühle, das Bett. Auf dem mottenzerfressenen Laken lag meine Mutter. Bleich wie ein Geist und reglos wie eine Tote.
    Mit wenigen Schritten war ich bei ihr und kniete vor dem Bett. Ihre Augen waren weit aufgesperrt, doch vollkommen blicklos, als sehe sie durch mich und alles hindurch. Ich legte meine Hand an ihre Wange und erschrak bei der Kälte ihrer Haut.
    „Arane?“, flüsterte ich. Meine eigene Stimme klang fremd und hohl in meinen Ohren. Es war lange her, dass ich meine Mutter bei ihrem Namen genannt hatte. „Arane“, sagte ich erneut, lauter. Sie reagierte nicht. Ich packte ihre Schulter und schüttelte sie. „Komm zu dir!“
    Nichts.
    Ich rüttelte sie stärker. „Mutter, die Messe fängt gleich an. Wenn wir fehlen, werden sie kommen, um uns zu holen.“
    Sie blinzelte.
    „Arane?“
    Wie im Schlaf setzte sie sich langsam auf. Ihr schulterlanges Haar löste sich und fiel zur Seite. Ich sog scharf die Luft ein. Um ihren Hals lagen die rußigen Male eines Handabdrucks, darunter war die Haut lila und blau verfärbt.
    „Was ist geschehen?“, stieß ich hervor.
    Meine Mutter hob die Hand an ihren Hals und zuckte zusammen. Mit wackligen Beinen erhob sie sich und machte einen Schritt zur Tür. Sie bewegte sich so steif und abgehackt, dass ich fürchtete, die Verletzung an ihrem Hals könnte nicht die einzige sein. Heiße Wut sammelte sich in meiner Brust. Ich sprang auf und packte sie bei den Schultern, zwang sie mir in die Augen zu sehen.
    „Arane, wer hat dir das angetan?“
    Ihr unbeteiligter Blick klärte sich urplötzlich und traf mich wie ein eisiger Speer. Sie schob mich von sich und wankte aus dem Zimmer. „Binde dein Haar zurück“, sagte sie mit einer Stimme, die so rau war, als habe sie die ganze Nacht geschrien. „Wir müssen zur Messe.“
    Frostige Gänsehaut kroch über meine Haut. Ich machte, dass ich aus dem Zimmer kam, schloss die Tür hinter mir und folgte meiner Mutter, die mit einer Hand an der Wand die Treppen hinabhinkte. Erst jetzt bemerkte ich, dass ihr Kleid an einigen Stellen zerrissen und stellenweise mit Asche besudelt war.
    Erinnerungen an das Feuer, das ich letzte Nacht gelegt hatte, zuckten mir durch den Kopf.
    An der Tür holte ich Arane ein und hielt sie ein letztes Mal zurück. „Mutter“, stieß ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Niemand hat das Recht, dir so etwas anzutun! Wer war das?“
    Im Tageslicht sah ich, dass ihre Augen blutunterlaufen waren und die Schatten darunter dunkel wie die Blutergüsse an ihrem Hals. Ihre Haare waren strähnig und ihre Haut kreidebleich. In den Falten auf ihrem Gesicht hatte sich Schmutz gesammelt.
    Ich hob eine Hand an ihre Wange. „Wir sollten dein Gesicht waschen“, flüsterte ich.
    Ihr Blick war so kalt wie ihre Haut. „Binde dein Haar zurück“, sagte sie tonlos.
    Sie hätte mich ebenso gut schlagen können. Entgeistert ließ ich sie los und trat einen Schritt zurück.
    Arane wandte sich um und wankte los. Ich riss mich aus meinem Schockzustand und folgte ihr in einigem Abstand, meine Gedanken in heller Aufruhr und mein Körper gespannt wie eine Bogensehne. Der unbändige Drang, etwas zu zerstören, fraß sich wie Gift durch meine Adern.
    Da wir die letzten waren, die die Kirche betraten, mussten wir wohl oder übel wieder einen Platz in der ersten Reihe einnehmen. Ich kniete mich auf das harte Holz und zuckte zusammen, als meine Mutter neben mir leise wimmerte. Ihre Lippen waren fest aufeinandergepresst. Sie hatte offensichtlich Schmerzen.
    „Legt eure Ängste ab und seht ins Licht.“
    Mein Kopf fuhr hoch. Heute war es Kessandra, die die Messe abhielt. Sie war die einzige Frau unter den Priestern, die über die fünf Dörfer dieser Region verteilt waren. Es gefiel ihr, sich der Gemeinde wie eine liebende Schwester zu präsentieren, doch in Wahrheit war sie hinterlistiger als alle anderen Priester. Wer den Fehler machte, ihr zu vertrauen, konnte sich ebenso gut erhängen.
    Ich erinnerte mich, dass es ihre Stimme gewesen war, die befohlen hatte meinen Vater auf dem Scheiterhaufen zu lassen, als der Nieselregen einsetzte und seinen Tod so zu einem der langsamsten und qualvollsten machte, den diese Region jemals gesehen hatte. Noch immer sah ich den flackernden Feuerschein auf

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