Caras Gabe
Befehl erschütterte den Platz. Seine Stimme klang wie Donnergrollen und splitterndes Glas. Sie schien von überall gleichzeitig zu kommen. Ich blickte wild umher.
Es war Lurian in seiner strahlenden Gestalt, vor dem sich die Menge teilte. Der Engel schritt stolz und fürchterlich durch sie hindurch. Hinter ihm folgten ein Mann in prunkvollem Wappenrock und dutzende bis an die Zähne bewaffnete Soldaten. Sie klirrten und schepperten bei jedem Schritt und hielten jeder eine Fackel in der Hand.
Bei ihrem Anblick brachen viele Leute in Jubel aus, andere jedoch riefen den Soldaten Beschimpfungen entgegen. Entgeistert blickte ich hin und her, bis mir schwindelig wurde und ich nicht mehr sicher war, wo ich mich befand. Ich verstand diese verdammten Menschen nicht!
Die Soldaten drängten die Leute ab und erschufen einen freien Raum inmitten der Unruhe. Die Leute ließen es sich vorerst gefallen wie wilde Hunde, die man gegen ihren Willen an die Leine gelegt hatte. Sie wichen widerwillig zurück, doch der Hass glomm noch immer in ihren Augen. Es war ein Glimmen, das jederzeit Funken schlagen und erneut ausbrechen konnte.
„Macht Platz für den Fürsten!“, riefen die Soldaten immer wieder.
Der Fürst? Das musste der aufgeplusterte Mann in ihrer Mitte sein. Er war in Schwarz und Gold gekleidet und hatte einen gewaltigen schwarzen Schnurbart, an dem er ständig zwirbelte und drehte. Seine finster zusammengezogenen Augenbrauen verhießen nichts Gutes.
Währenddessen schritt Lurian in all seiner Pracht auf die Scheiterhaufen zu. Erst jetzt bemerkte ich, dass der Priester mit der Zahnlücke noch immer auf einem der Schutthaufen stand. Seine Augen waren auf den Engel gerichtet. Die Fackel in seiner Hand war erloschen, doch sein Gesicht leuchtete vor Abscheu und Eifer. Mit einem irren Lachen sprang er von seinem Scheiterhaufen und marschierte Lurian mit ausgebreiteten Armen entgegen.
„Da ist ja der Engel!“, kreischte er. „Komm nur, komm! Das Licht wird mir die Kraft geben, dich zu bes–“ Einer von Lurians Flügeln schoss vor, fuhr dem Mann durch den Brustkorb und spießte ihn auf.
Der Engel hielt ihn an seiner gläsernen Schwinge hoch und zog ihn dann nahe zu sich heran. Blut tropfte dem Priester aus Nase und Mund, er zuckte und röchelte.
„Wo ist deine Kraft?“, rief Lurian mit dröhnender Stimme. „Ich bitte dich. Zeig mir die Kraft des Lichtes.“
Der Priester hatte aufgehört sich zu regen. Schlaff hing er an dem gläsernen Flügel und verteilte Blut auf das Pflaster. Lurian schnaubte verächtlich und warf den Mann mit einer lässigen Geste beiseite. Er schlug einmal wild mit den Flügeln und säuberte das Glas so vom Blut.
Ich stand zwischen den Scheiterhaufen. Der Windstoß erfasste auch mich, Feuchtigkeit spritzte über mein Gesicht. Mit einem Ärmel wischte ich mir das Blut von Wange und Stirn und beobachtete wie der Fürst aus der Reihe seiner Soldaten hervortrat und Lurian eine Hand entgegenstreckte. Der Engel ergriff sie. Ich hatte den plötzlich unwirklichen Eindruck, bei einer wohlgeplanten Inszenierung dabei zu sein.
Eiskalte Luft sammelte sich in meinem Rücken. Einen Augenblick später umschlossen zwei Hände meine Oberarme und zogen mich an einen warmen Körper. Sein Umhang kitzelte meine Handgelenke. „Arun!“
„Shhh.“ Er legte mir von hinten einen Hand über den Mund und ließ nicht zu, dass ich mich umdrehte. „Niemand soll wissen, dass ich hier bin“, raunte er mir ins Ohr.
Ich hörte auf mich zu wehren und sank gegen ihn. Zu meiner Schande musste ich mit den Tränen kämpfen. „Ich bin froh, dass du da bist“, flüsterte ich heiser.
Als Antwort biss er mir leicht in den Nacken. Erschrocken zuckte ich zusammen, sagte jedoch kein Wort. Bestimmt war er erzürnt über mein Verschwinden aus dem Wald.
„Was auch immer sie vorhaben“, sagte er mit gedämpfter Stimme, „spiel mit. Ich werde euch beobachten. Oh, und noch etwas: Es gibt in dieser Stadt mehr Priesteranhänger, als du ahnst.“ Und damit verschwand Arun so plötzlich, wie er aufgetaucht war.
Keinen Moment zu spät, denn Lurian hatte sich umgedreht und winkte mich zu sich heran. Mit gemischten Gefühlen ging langsam auf ihn zu. Ich war mir der unzähligen Blicke, die auf uns ruhten, nur allzu bewusst.
Der Engel lächelte. „Geht es dir gut?“, fragte er besorgt.
Ich spürte noch immer den Druck von Aruns Händen auf meinen Armen. Er hatte mich warnen wollen. Nur vor wem oder was genau?
Lurian runzelte die
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