Caras Gabe
Kinderhände.
Doch meine volle Aufmerksamkeit galt dem Priester, der sich vor den Scheiterhaufen aufgebaut hatte und wichtigtuerisch hin und her schritt. Lurian brachte uns in die zweite Reihe. Sein Griff um meinen Oberarm war schmerzhaft fest geworden, doch er schien es nicht zu merken.
„Schuldig“, brüllte der Priester in die Menge. „Ihr seid alle schuldig!“
Er hatte zotteliges schmutzblondes Haar und vermisste einen Schneidezahn, weswegen er beim Sprechen zischelte wie eine Schlange und alle anspuckte, die ihm zu nahe kamen. „Seht euch um!“, rief er und machte eine ausladende Geste. „Ihr badet in Hunger und Leid. Warum, mögt ihr fragen. Warum muss ich leiden? Ich werde es euch sagen. Ihr habt euch dem Licht verschlossen, seid taub für seine Botschaft geworden. Was für eine Botschaft mag das sein, fragt ihr. Ich werde es euch sagen. Die Botschaft lautet: Kniet nieder. Bereut! Dann wird das Licht euch wieder geneigt sein.“
Seine Worte wurden mit viel Gemurmel und Unruhen aufgenommen. Neben mir schnaubte Lurian verächtlich. „Diese Menschen“, raunte er mir zu, „sind hier, um ein Spektakel zu sehen, nicht, um sich Priesterreden anzuhören. Kaum jemand gibt hier etwas auf ihr Wort.“
Der Engel sprach sehr selbstsicher, doch wenn ich mich so umschaute, beschlich mich die Ahnung, dass er sich irrte. Ich kannte den Ausdruck auf diesen Gesichtern, denn jedes Mal, wenn ich mich umsah, fühlte ich mich in die Kirche meines Dorfes versetzt. Diese Leute hörten dem Priester sehr aufmerksam zu und sie waren verzweifelt genug, seinen Worten Glauben zu schenken.
„Ich fürchte, du unterschätzt ihre Verzweiflung“, flüsterte ich Lurian meine Bedenken zu.
Er sah mich und runzelte die Stirn.
Zahnlücke sprang auf einen der Scheiterhaufen. Ein Raunen ging durch die Menge, als er dort auf die Knie fiel und beide Arme zum Himmel ausbreitete.
„Wollt ihr nicht unter seinen Lichtträgern wohnen?“, rief er inbrünstig. „Wollt ihr nicht durch die heiligen Hallen der Zitadelle des Berges wandeln? Wollt ihr nicht unsterblich sein? Wollt ihr nicht rein sein und ohne Makel?“
Erste zustimmende Rufe wurden laut. Aus den hinteren Reihen drängten die Menschen nach und pressten die Menge noch näher an die Scheiterhaufen heran. Ich war dem Priester so nahe, dass ich den Schweiß auf seiner Stirn sehen konnte. Einer seiner Lakaien reichte ihm eine Fackel.
Zahnlücke sprang auf und fuchtelte mit dem brennenden Stock in der Luft umher, als gelte es, einen skurrilen Tanz zu gewinnen. Ich wünschte, ich hätte seine Farce einer Messe amüsant finden können, doch die Stimmung um mich herum wurde zusehends drückender und gespannter. Diese Menschen erwarteten, dass etwas Großes geschah, etwas, dass sie in ihren eigenen Augen und in denen der Götter oder des Lichtes reinwaschen würde. Oder zumindest etwas, das sie ihre eigene Misere für eine Weile vergessen ließ. Sie würden diesen Platz nicht verlassen, ehe dieses Bedürfnis erfüllt war.
Ich sah es in ihren leuchtenden Augen, der Art, wie sie sich vorbeugten, um dem Priester näher zu sein, aber vor allem an der verdrehten Hoffnung, die auf ihren Gesichtern auftauchte, als seien sie die letzten Überlebenden einer Schlammlawine. Mehr wollten sie gar nicht von diesem dilettantischen Priester, nicht mehr als einen Moment, der sie von ihren Leiden ablenkte und Befreiung verhieß.
Zahnlücke hatte das wohl erkannt. Er hielt die Fackel hoch über seinen Kopf, wo alle sie sehen konnten. Die Nacht hatte mittlerweile Einzug gehalten und machte die Fackel zu einem einsamen Licht in der Dunkelheit.
„Das Feuer“, tönte der Priester, „wird eure Kinder, eure Alten zu ihnen bringen. Auf der anderen Seite der Flammen warten die Lichtträger auf euch. Das Feuer reinigt die Kinder und Alten. Bringt sie her. Bringt sie zu mir und seht zu, wie das Licht sie verzehrt und in eine bessere Welt trägt. Gebt sie den Flammen!“
Ich starrte den Priester fassungslos an. Und ich war nicht die Einzige. Diese Worte hatten der wachsenden Begeisterung einen harschen Dämpfer verpasst, denn keiner der Umstehenden konnte mit solchen Anweisungen etwas anfangen. Dass sie einige abgerissene Fremde, Bettler oder einfach jemanden mit einem hässlichen Gesicht verbrannten, wäre akzeptiert worden. Aber ihre Kinder? Zahnlücke schien das auch zu merken, denn er änderte hastig seine Strategie.
„Wenn ihr nicht mehr hungern und frieren wollt“, rief er beinahe freudig, „dann
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