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Caravan

Titel: Caravan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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für falsche Arbeitspapiere zahlen. Blutsauger!«
    »Nightingale Human Solutions. Wirklich, das sind Geier, keine Nachtigallen.«
    »Ist es das wert?«, fragte ich.
    »Wenn ich erst mal beim Staatlichen Gesundheitsdienst bin, verdiene ich in England fünfzigmal mehr als in Sambia. Für Afrika
     ist das ein Problem, denn jetzt wollen alle afrikanischen Schwestern nach England kommen, und dann gibt es nicht mehr genug
     Schwestern für die Kranken bei uns zu Hause.«
    »Das Gleiche bei uns. Lohn für Erdbeerpflücker in England ist besser als für Lehrer oder Krankenschwester in der Ukraine.«
     Andrij runzelte nachdenklich die Stirn, wobei er ziemlich intellektuell aussah, und das ist ganz schön sexy |299| bei einem Mann. »Globalisierung der Wirtschaft ist ernste Sache.«
    Sehen Sie? Er ist ziemlich intelligent, auch wenn er nicht sehr gebildet ist.
    »Ihr kommt aus der Ukraine?«
    »Ja, natürlich. Kennen Sie Leute aus der Ukraine?«, fragte ich.
    Yaketa erzählte von einem alten Herrn in ihrem Pflegeheim, der Ukrainer war und der mit seinen Eigenheiten immer für Wirbel
     sorgte.
    »Es wäre schön, wenn ihr mal mit ihm reden könntet. Vielleicht hört er auf euch, wenn ihr Ukrainisch mit ihm redet.«
    »Natürlich«, sagte ich. »Wir reden gern mit ihm.«
    Auf diese ukrainischen Eigenheiten war ich gespannt.
     
    Jetzt ist es schon wieder passiert. Er wollte nach Sheffield, aber aus irgendwelchen Gründen ist er hier gelandet. Irgendwie
     ist Andrij genervt, von Irina, von Yaketa und von sich selbst. Warum hat er nicht einfach nein gesagt?
    Das Pflegeheim Four Gables ist ein großes graues Gebäude am Stadtrand von Peterborough, von der Straße zurückgesetzt hinter
     eine Reihe von düsterem Immergrün. Yaketa fährt auf den Parkplatz und führt sie ins Haus. Das Erste, was Andrij bemerkt, ist
     der Geruch – süßlich und ein bisschen wie im Zoo. Er schlägt ihm entgegen wie übler Mundgeruch, als die Tür aufgeht. Ein halbes
     Dutzend alter Frauen in verschiedenen Stadien der Klapprigkeit sitzen in ein paar Sesseln entlang der Wand, sie dösen mit
     offenem Mund oder starren vor sich hin. »Wartet hier«, sagt Yaketa. »Ich suche Blessing.« Sie setzen sich auf eine gepolsterte
     Bank und warten. Die Luft ist schal und schwer. Irina wird in ein merkwürdiges Gespräch mit der alten Dame verwickelt, die
     ihr |300| am nächsten sitzt, sie scheint sie für ihre Nichte zu halten. Hund läuft den Korridor hinunter, auf der Fährte eines komischen
     Geruchs, und verschwindet. Andrij steht auf, um ihn zu suchen.
    »Psst!« Ein dürrer Arm winkt ihn durch eine offene Tür. »Hier herein.«
    Er betritt ein winziges Zimmer. Dieser Geruch – er erinnert ihn an den Kaninchenstall auf dem Balkon in Donezk. In der Mitte
     des Zimmers sitzt Hund zu Füßen einer sehr alten Dame auf dem Teppich und lässt sich mit Schokoladenkeksen aus einer Blechdose
     füttern.
    »Hallo, junger Mann. Kommen Sie herein. Ich bin Mrs.   Gayle. Wie heißen Sie?«
    »Andrij Palenko.«
    »Pole?«
    »Nein, Ukrainer.«
    »Oh, wunderbar! Ich habe eine Schwäche für ukrainische Männer. Setzen Sie sich. Nehmen Sie sich einen Keks.«
    »Danke, Mrs.   Gayle.« Andrij stopft sich den Keks im Ganzen in den Mund und muss husten, als er sich an den Krümeln verschluckt. Seit dem
     Brot letzte Nacht hat er nichts mehr gegessen.
    »Nehmen Sie noch einen.«
    »Danke.«
    Er setzt sich auf einen Stuhl, dann merkt er, dass es eine Art Kiste mit einem gepolsterten Deckel und einer Lehne ist. Der
     Kaninchenstallgeruch ist durchdringend.
    »Nehmen Sie zwei.«
    Sie blinzelt. Oder zwinkert sie ihm zu? Ihre Augen sind klein und feucht und liegen tief in den faltigen Höhlen. Ihre Hände
     sind dünn und krumm wie Klauen. Werde ich eines Tages auch so sein?, fragt sich Andrij. Er kann es sich nicht vorstellen.
    |301| Er erinnert sich an das Zimmer seiner Großmutter zu Hause, in dem sich vom Boden bis zur Decke modrige Kleiderhaufen stapelten
     und der Platz zum Sitzen immer kleiner wurde. Es war traurig mit anzusehen, wie ihr Leben wegschrumpfte. Als sie das Wasser
     nicht mehr halten konnte, wurde der Geruch so stark, dass man kaum noch hineingehen konnte. Egal wie viel seine Mutter wusch
     und schrubbte, wie viel Puder sie verteilte, der Kaninchenstallgeruch wurde immer stärker, bis seine Großmutter am Ende starb
     und nur noch der Geruch übrig war. So ähnlich riecht es im Zimmer von Mrs.   Gayle. Auf einmal überlegt er, was in der Kiste ist, auf der er

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