Caravan
Ich sah Andrij an. Er war kreidebleich geworden.
»Wir müssen hier raus«, flüsterte er.
»Entschuldigen Sie bitte. Bitte halten Sie an«, rief ich. »Ich muss auf die Toilette. Dringend.«
Der Fahrer hielt. Andrij und Hund sprangen mit unseren Taschen vom Rücksitz, und ich sprang vom Beifahrersitz, und wir rannten,
so schnell wir konnten, die Straße zurück, bis wir außer Sichtweite waren. Dann setzten wir uns an den Straßenrand und warteten,
bis unsere Beine zu zittern aufhörten und wir wieder Luft bekamen.
Wir waren gestrandet, auf einer kleinen Landstraße mitten im Nirgendwo, und nicht ein Auto kam vorbei. Andrij meinte, wir
sollten am besten zurück zur Autobahn gehen, und so machten wir uns auf den Weg. Wenn ein Wagen vorbeikam, wollten wir den
Daumen raushalten, doch es kam kein einziger.
Wir mussten fast einen Kilometer gelaufen sein, als wir den blauen VW Polo wiedersahen, der immer noch mit zwei Rädern im
Graben steckte. Die Fahrerin, eine junge Schwarze, stand daneben und sah äußerst verärgert aus.
»Brauchen Sie Hilfe, Madam?«, fragte Andrij.
Er klang so zuvorkommend, genau wie Mr. Brown. Und ich dachte, wie schön, gleich bekommen wir einen sonnengebräunten männlichen Oberkörper zu sehen. Und so war es
auch. Die Frau setzte sich auf den Fahrersitz, und er stellte sich vor die Motorhaube und schob, und seine Armmuskeln schwollen
an wie … na ja, sie schwollen ganz schön an, und dann schob er den Wagen langsam, ganz langsam, auf die Straße zurück. Mmmh. Ich
glaube, Mr. Brown hätte das nicht gekonnt.
Die junge Frau bot an, uns mitzunehmen. Sie war auf dem Weg nach Peterborough, und obwohl es nicht ganz die richtige Richtung
war, stimmte ich zu. Ich wollte nicht den ganzen |297| Weg zur Autobahn zurücklaufen. Sie sagte, sie könnte uns an der A1 absetzen, einer großen Straße, die nach Norden führte.
Andrij und Hund stiegen wieder hinten ein, und ich setzte mich vorn auf den Beifahrersitz. Die Frau hatte eine hübsche Stupsnase
und ihr Haar war zu lauter kleinen Zopfreihen geflochten, es sah aus wie Gemüsebeete in einem winzigen Garten. Ich hätte ihre
Frisur am liebsten mal angefasst, aber ich wollte nicht unhöflich sein. Sie hieß Yaketa, sagte sie, und sie war Krankenschwester
in der Ausbildung in einem Pflegeheim.
Als er das hörte, wurde Andrij ganz aufgeregt. »Haben Sie einen Bruder namens Emanuel?« Wir erklärten, dass unser Freund aus
Malawi eine Schwester hatte, die Krankenschwester war, und dass er den Kontakt zu ihr verloren hatte.
»In England gibt es viele afrikanische Krankenschwestern«, sagte Yaketa lachend. »Mehr als in Afrika. Ich komme aus Sambia,
nicht aus Malawi, das ist das Nachbarland.« Als sie Andrijs enttäuschtes Gesicht sah, sagte sie: »Aber wo ich arbeite, gibt
es auch eine Schwester aus Malawi. Vielleicht weiß sie etwas, denn die Malawier halten meistens zusammen.«
Also kamen wir überein, dass wir mit nach Peterborough fahren würden, um ihre malawische Kollegin kennenzulernen. Gemütlich
gondelten wir dahin – meiner Meinung nach fahren Frauen viel besser Auto als Männer – und hatten jede Menge Zeit, uns zu unterhalten,
was gut war, denn Yaketa war sehr gesprächig. Es stellte sich heraus, dass sie eigentlich gar nicht mehr in der Ausbildung
war, denn sie hatte in Sambia bereits sechs Jahre lang ein medizinisches Zentrum geleitet, aber um in England zu arbeiten,
wurde eine Umschulung verlangt. Sie erklärte, dass es ein neues Gesetz gab, nach dem es dem Staatlichen Gesundheitsdienst |298| nicht erlaubt war, Schwestern aus Afrika zu rekrutieren, und daher musste sie während der Umschulung in einem privaten Pflegeheim
arbeiten.
»Für Afrika ist das Gesetz gut, aber für die Schwestern ist es schlecht«, sagte sie, »denn solange man die Umschulung macht,
bekommt man nur den Mindestlohn, kein richtiges Schwesterngehalt. Und dann die Abzüge. Steuern. Verpflegung. Unterkunft. Uniform.
Ausbildungsgebühren. Die Gebühr für die Agentur. Am Ende der Woche bleibt nichts übrig.«
»Ja, Abzüge kenne ich«, sagte ich. »Wir sind Erdbeerpflücker. Unterkunft, Essen, Transport, alles wird vom Lohn abgezogen.
In England hätte ich solchen Geiz nicht erwartet.«
»Das Schlimmste ist die Agentur«, sagte Yaketa. »Neunhundert Pfund muss ich dafür zahlen, dass sie die Stelle für mich gefunden
haben.«
»Neunhundert Pfund!«, rief Andrij vom Rücksitz. »Das ist mehr, als wir
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