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Caravan

Titel: Caravan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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zärtlichen Worten und galanten Gesten. Ich finde,
     jeder sollte erst mal
Krieg und Frieden
|43| lesen, das romantischste Buch, das je geschrieben wurde, und auch das tragischste. Wenn Natascha und Pierre endlich zusammenkommen,
     löst das beim Lesen Gefühle von brennender Intensität aus. Das war die Art von Liebe, auf die ich wartete – nicht die schnelle
     Nummer hinter den Büschen, was alles zu sein schien, woran die Jungs interessiert waren.
    »Liebe ist wie Feuer«, sagt meine Mutter immer, »ein kostbarer Schatz, aber kein Spielzeug.« Arme Mutter, langsam wird sie
     ältlich. Wie sie die Nase rümpfte und ihre Lippenstiftlippen spitzte, wenn wir an den Mädchen auf dem Kreschtschatik vorbeikamen.
     Die Mädchen auf dem Kreschtschatik hatten Miniröcke an, die nicht viel mehr waren als ein Streifen Stoff zwischen dem Bauchnabel
     und den Unterhosen, und sie lachten mit weit aufgerissenen Mündern, wenn die Jungs sie mit Bier vollspritzten. Auch wenn es
     romantischer ist, sich für den Richtigen aufzuheben, da war etwas Beunruhigendes, Wissendes an diesen aufgerissenen Mündern.
     Was wussten sie, das ich nicht wusste? Vielleicht würde ich es hier in England herausfinden, weit weg von den neugierigen
     Blicken meiner Mutter. Während ich seine muskulösen Arme ansah, als der Bergmann die Paletten stemmte, musste ich wieder daran
     denken.
Ich denke nur nach, Mutter. Nichts weiter.
     
    Oben, nach der Abzweigung nach Sherbury Down, gibt es einen Rastplatz, der versteckt hinter einer Pappelreihe liegt. Durch
     eine Lücke in der Hecke hat man von hier aus einen guten Blick auf das Feld. Mr.   Leapish sitzt in seinem Landrover und genießt zufrieden die idyllische Aussicht. Die Männer, hat er beobachtet, liefern sich
     gern ein Rennen durch die Erdbeerreihen, während die Frauen fürsorglich sind und aufpassen, dass keine zurückbleibt. Aufgrund
     dieses |44| Unterschieds weist Mr.   Leapish den Männern die neuen Reihen zu und den Frauen die Reihen, wo die Männer schon gepflückt haben. Natürlich verdienen
     die Frauen dadurch weniger, aber das sind sie gewohnt von dort, wo sie herkommen, und sie beschweren sich auch nicht. Indem
     Leapish sozusagen mit den natürlichen Anlagen des Menschen arbeitet, gelingt es ihm, sowohl Produktivität als auch Ertrag
     zu maximieren. Er ist hochzufrieden mit seinen Managerqualitäten.
    Weil es Samstag, Zahltag, ist und er später den Lohn auszahlen wird, sind seine Gedanken heute besonders auf arithmetische
     Dinge ausgerichtet. Acht Körbe pro Palette, ein halbes Kilo Erdbeeren pro Korb, achtzig Kilo pro Pflücker pro Tag im Durchschnitt,
     sechs Tage die Woche, über eine Saison von zwölf Wochen. Sein Hirn rattert mühelos im Arithmetikmodus. Sobald das Feld abgeerntet
     ist, ziehen sie weiter zu einem Feld unten im Tal, und dann, wenn die Pflanzen neue Früchte tragen, kommen sie wieder herauf.
     Die Pflücker kriegen 30   Pence pro Kilo, brutto. Jedes Kilo wird für zwei Pfund verkauft. Nicht schlecht. Alles in allem ist es kein schlechtes Geschäft,
     auch wenn er nicht so viel macht wie dieser Neuankömmling Tilley ein paar Kilometer weiter, mit seinen Folientunnelfeldern.
     Er würde auch mehr kriegen, wenn er an die großen Supermärkte verkaufen würde, aber er will nicht, dass irgendwelche Inspektoren
     bei ihm auftauchen, die Nase in die Wohnwagen stecken und neugierige Fragen stellen wegen der Beziehung zwischen Wendys Firma
     und seiner Firma. Das Schöne an der Sache ist, dass er die Hälfte von dem, was er an Lohn abdrücken muss, durch die Abzüge
     für den Unterhalt wieder reinholen kann. Und gleichzeitig verhilft er den armen Seelen zu ein bisschen Geld. So viel würden
     sie da, wo sie herkommen, nie verdienen. Das ist doch immerhin auch was.
    |45| Um Punkt eins wird er durchs Hoftor fahren, auf die Hupe drücken und zusehen, wie die Erdbeerpflücker ihre vollbeladenen Paletten
     packen und das Feld herunterkommen. Bei der Hitze sollte er eigentlich öfter kommen, um die Paletten einzusammeln und die
     Erdbeeren ins Kühlhaus zu bringen. Das muss man machen, wenn man für zwei fünfzig pro Kilo an die großen Supermärkte verkaufen
     will. Aber die örtlichen Tankstellen, die seine Abnehmer sind, stellen keine Fragen.
    Vielleicht ist der junge Ukrainer schon da und wartet am Tor. Tüchtiger Kerl. Guter Pflücker. Harter Arbeiter. Er wünschte,
     sie wären alle so. Das neue Mädchen scheint ein ziemlich hoffnungsloser Fall zu sein, aber

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