Caravan
ICH STRECKE MICH KOPF AUF DEN PFOTEN IN DER SONNE ICH SCHLAFE ICH TRÄUME ICH
TRÄUME VON TÖTEN ICH BIN HUND
Für Marta ist unser täglich Brot eine Gabe Gottes, die mit Ehrfurcht zubereitet werden muss, und die gemeinsame Mahlzeit ist
ein Sakrament. Daher gibt sie stets ihr Bestes, den Erdbeerpflückern ein erfreuliches Abendessen zu kochen, und weil heute
Emanuels achtzehnter Geburtstag ist, gibt sie sich besondere Mühe, aus den wenig versprechenden Zutaten, mit denen sie der
Bauer versorgt, etwas zu zaubern.
Die Würstchen in der Pfanne haben bereits eine leuchtend rosa Farbe angenommen und schwitzen eine graue, ölige Substanz aus,
in der das Brot brutzelt, das Marta in Streifen geschnitten und zusammen mit ein paar Kartoffeln, die Vitali am Straßenrand
gefunden hat, in die Pfanne gegeben hat. Ganz zum Schluß wird sie ein paar Pilze und ein paar grüne Bärlauchblätter aus dem
Wald dazugeben. Das restliche Brot hat sie zerbröselt und mit blasslila Thymianblüten und zwei Taubeneiern vermengt, die Tomasz
gefunden hat, und Knödel daraus geformt. Sie sieden munter in einem Topf. Marta brät alle Würstchen – die der Frauen und die |51| der Männer. Warum? Weil polnische Frauen gute Frauen sind, darum.
Ciocia Jola steht unter der Dusche und bereitet sich auf eine weitere sündige Nacht mit dem Bauern vor. Anscheinend hat die
Sonne das Wasser in der Tonne schön erwärmt, denn Ciocia Jola singt, während sie sich mit parfümierter Seife wäscht, ein Lied
ohne Melodie und ohne Worte. Ciocia Jola kann nicht sehr gut singen.
Plötzlich klopft es an die Wohnwagenwand, und eine Stimme meldet sich auf Polnisch. »Werte Damen, ich habe hier eine kleine
Gabe, mit der ihr das Abendessen bereichern könnt.« Es ist Tomasz, der ein blutiges Kaninchen hochhält. »Vielleicht mag die
liebliche Jola diesen kleinen Beweis meiner Zuneigung annehmen.«
»Leg es vor die Tür, Tomek«, ruft Jola von unter der Dusche. »Ich bin gleich fertig.«
»Willst du, dass ich es abziehe?« Erwartungsvoll blickt er in Richtung Dusche. In der Plastikplane sind ein paar Löcher, aber
sie sind an den falschen Stellen.
»Schon gut. Lass es hier. Ich weiß, wie man das macht«, sagt Marta.
Seufzend nimmt sie das tote Kaninchen entgegen und streichelt über sein weiches Fell. Armes kleines Geschöpf. Aber Marta hat
bereits ein feines Rezept im Kopf, mit dem sie es in die andere Welt hinüberschicken wird. Tomasz drückt sich immer noch vor
der Tür herum und wird kurz darauf belohnt, als Jola nur mit einem Handtuch bekleidet aus der Dusche kommt.
»Hau ab, Tomek«, sagt sie. »Was hängst du hier herum wie ein übler Geruch? Wir sagen dir schon, wenn das Essen fertig ist.«
Er wandert über das Feld davon.
Marta findet, auch wenn er ein komischer Kauz ist, wäre |52| ihre Tante mit einem anständigen, ernsthaften Kerl wie Tomasz besser dran als mit all ihren Exmännern und den möglichen Ehemännern
in spe, auf die sie es sonst abgesehen hat. Aber Ciocia Jola hat ihre eigenen Vorstellungen, von Männern genau wie von allem
anderen.
Marta nimmt das Kaninchen, greift nach einem scharfen Messer und schneidet ihm mit einem gezielten Schnitt den pelzigen Bauch
auf. Sie zieht ihm das Fell ab und schneidet es in kleine Stücke, die sie mit ein wenig Würstchenfett in eine Pfanne gibt,
dann fügt sie ein paar Bärlauchblätter und wilden Thymian hinzu. Ein herrlicher Duft zieht über das Feld. Zum Schluss wirft
sie Bratwürstchen, Pilze und Kartoffeln mit in die Pfanne und kippt eine Dose von Vitalis Bier darüber, als Fond für eine
köstliche Soße. Sie probiert mit der Zungenspitze und schließt die Augen, erfüllt vom Glück einer guten polnischen Frau.
Andrij und Emanuel haben auf der kleinen Wiese oben am Feld ein Lagerfeuer gemacht. Im Wäldchen gibt es jede Menge trockenes
Holz und Reisig, aber trotzdem wird mächtig gepustet und gefächelt, bis das Feuer entfacht ist. Als es endlich in Gang kommt
und der erste Rauch abgezogen ist, stellen sie Kisten und Baumstümpfe und den alten Autositz im Kreis um das Feuer auf. Die
chinesischen Mädchen bringen Teller und Besteck (das Geschirr reicht nur für sechs, ein paar Leute müssen teilen oder improvisieren).
Emanuel hat eine riesige Schüssel Erdbeeren gepflückt, die Marta mit kaltem Tee, Zucker und wilder Minze mariniert. Es wird
immer schwieriger, den Erdbeergeschmack zu vertuschen, stellt sie fest, damit sie für die Pflücker
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