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Caravan

Titel: Caravan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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ist er auf Ziegelsteinen aufgebockt. Wahrscheinlich sind das diese neuseeländischen Schafscherer gewesen,
     weiß Gott, wofür die ein Wohnwagenrad brauchten. Jede Menge Platz darin. 5   Pfund extra pro Mann, das wären 20   Pfund pro Woche. Er muss es Vulk ja nicht sagen. 20   Pfund pro Woche näher an der Erfüllung seines Traums.
    Ja, obwohl Mr.   Leapish ein praktischer Mensch ist, hat auch er einen Traum. Sein Traum ist es, den ganzen lieblichen, nach Süden geneigten,
     sonnigen Erdbeerhügel in Folie einzupacken.
     
    |48| Um sechs wurden die Schatten auf dem Feld länger. Als unten beim Tor der Bauer wieder auf die Hupe drückte, packte ich meine
     Palette mit Erdbeerkörben und trug sie zum Containerhaus.
    »Wie viel hast du, Irina?«, fragte Ciocia Jola und steckte die Nase in meine Palette. Na gut, ich gebe es zu, ich hatte am
     ganzen Tag nur zwölf Paletten geschafft. Marta hatte neunzehn voll gemacht. Und Jola und die chinesischen Mädchen jeweils
     fünfundzwanzig – Sie müssten mal sehen, wie die auf die Erdbeeren losgehen. Aber sie waren auch viel kleiner als ich und mussten
     sich nicht so tief bücken. Die Männer hatten jeder fünfzehn Paletten allein am Nachmittag gefüllt, nach den fünfzehn vom Morgen.
     Auf jede Palette passten vier Kilo Erdbeeren. Ich sah dem Bauer an, dass er verärgert war. Sein Gesicht war rot und knollig,
     wie eine Erdbeere. Oder, wie Ciocia Jola sagen würde, wie ein Hodensack. Jedenfalls versuchte ich mir nichts anmerken zu lassen,
     als er sagte, dass ich heute vierzehn Pfund verdient hatte; das reichte kaum für die Kosten, die ich verursachte, ich würde
     mich bessern müssen. Er sprach langsam und sehr laut, als wäre ich taub und dumm zugleich, und wedelte dabei mit den Händen
     in der Luft herum.
    »Nix gut. Überhaupt nix gut. Du musst schneller pflücken. Alles voll machen. Voll. Voll.«
Er breitete die Arme aus, als wollte er seine bescheuerten Körbe umarmen.
»Hast du verstanden?«
    Nein, ich hatte nicht verstanden – sein Geschrei machte mich nervös.
    »Sonst setz ich dich auf die Straße.«
    »Straße?«
    »Auf die Straße. Ich setz dich auf die verdammte Straße. Kapiert?«
    »Verdammt auf Straße?«
    |49|
»Nein, blöde Kuh,
du
landest auf der Straße.«
    »Blöde Kuh auf Straße?«
    »Oh, vergiss es!«
    Er knallte meine Palette auf die Pritsche und scheuchte mich mit beiden Händen fort, eine ziemlich unkultivierte Geste. Ich
     merkte, wie mir die Tränen kamen, aber das würde ich ihn natürlich nicht merken lassen. Und Jola auch nicht, die hinter mir
     in der Schlange stand, mit ihrer vollen Palette und dem selbstgefälligen Zahnlückenlächeln. Dahinter stand Andrij, der mich
     grinsend anglotzte. Der konnte sich zum Teufel scheren. Gleichgültig schlenderte ich das Feld hinauf zum Frauenwohnwagen und
     setzte mich auf die Stufen. Sollten sie doch alle zur Hölle fahren.
    Nach einer Weile hörte ich, wie der Landrover zum Tor hinausfuhr und auf der Straße davonknatterte. Eine angenehme Stille
     senkte sich über die Hügel. Selbst die Vögel machten eine Pause. Die Luft war noch warm und roch süß nach Geißblatt. Ein Abend
     wie dieser war ein Geschenk, über das man sich freuen sollte, dachte ich, ich würde ihn mir nicht verderben lassen. Der Himmel
     war blass und milchig und im Westen schimmerten leuchtende Streifen silberner Wolken – ein echt englischer Himmel.
    Vitali und Andrij hatten sich, jeder mit einer Dose Bier, auf den Rücksitz von Vitalis Wagen gesetzt – der Rest seines Wagens
     befand sich offenbar irgendwo in der Nähe des Autobahnkreuzes Canterbury und vergammelte auf der Böschung. Typisch Vitali.
     Tomasz war auf das Feld nebenan verschwunden, um nach seinen Kaninchenfallen zu sehen. Emanuel saß mit einer Schüssel Erdbeeren
     vor dem Männerwohnwagen auf einer Kiste und schrieb einen Brief. Die chinesischen Mädchen hatten sich in Martas Bett gekuschelt
     und lasen ihr Horoskop. Marta hatte schon den Gaskocher unter der Pfanne mit Würstchen angemacht, und der Geruch |50| , der sich in unserer kleinen Hütte ausbreitete, war appetitanregend und ekelhaft zugleich. Jola duschte. Ich legte mich kurz
     auf ihr Bett. Ich war so müde, dass jede Faser meines Körpers wehtat. Ich würde mich nur kurz ausruhen, bevor es Abendessen
     gab.
     
    ICH BIN HUND ICH LAUFE ICH LAUFE ICH TÖTE KANINCHEN ICH FRESSE KANINCHEN ICH LECKE BLUT TUT GUT BAUCH VOLL TUT GUT ICH FINDE
     FLUSS ICH TRINKE WASSER ICH TRINKE SONNE WARM

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