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Caravan

Titel: Caravan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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England gekommen ist, nur
     mit einer anderen Agentur. Jetzt weiß er nicht, wo er mit der Suche anfangen soll. Die Straßen von Dover deprimieren ihn,
     alle Läden sind geschlossen, die Häuser und Hotels heruntergekommen, und die Menschen sind mürrisch und machen verkniffene
     Gesichter. Es fühlt sich an wie eine Stadt, deren Herz abgestorben ist. Es erinnert ihn sogar ein bisschen an Donezk, die
     arbeitslosen Nichtstuer, die auf den Straßen rumhängen, trinken, betteln oder nur vor sich hin starren. Zu viele Fremde wie
     er, die auf der Suche nach etwas sind, das nicht da ist, die darauf warten, dass das Glück sie findet. Und im Hintergrund
     die ganze Zeit das trostlose, knirschende Rauschen des Meeres und das klagende Geschrei der Möwen.
    Während er durch die Straßen wandert, wird ihm immer mehr bewusst, wie unmöglich seine Aufgabe ist. Wo soll er anfangen? Und
     warum sucht er das Mädchen überhaupt? Was passiert ist, ist passiert – natürlich hättest du es verhindert, wenn du gekonnt
     hättest, aber es ist wirklich nicht deine Verantwortung. Soll sich ihr Boxerfreund um sie kümmern. Bye-bye, Ende, aus.
    Er geht zum Strand zurück und kommt an einem jungen Mann mit einem Eimer und einer Angelrute vorbei. Er hat ein rundes Gesicht
     und dunkle Augen wie ein Ukrainer, aber es stellt sich heraus, dass er Bulgare ist. In einer Mischung |109| aus gebrochenem Englisch, Bulgarisch und Russisch sagt er, dass er am Pier geangelt hat – er zeigt am Strand entlang in die
     andere Richtung   –, und jetzt verkauft er seinen Fang. Für fünfzig Pence kauft Andrij ihm eine kleine Makrele und zwei nicht identifizierbare
     Fische ab, und seine Laune fängt an sich zu bessern.
    Die anderen sind schon beim Wohnwagen, als er zurückkommt. Die chinesischen Mädchen sitzen drinnen und tuscheln aufgeregt
     über ihrem Horoskop. Tomasz hat eine alte Plane und ein blaues Seil auf einem Lastwagenparkplatz gefunden, und er scheint
     große Pläne damit zu haben. Jola und Marta essen Eis, und Marta hat Andrij auch eins mitgebracht. Emanuel war so schlau, die
     beiden leeren Colaflaschen in der öffentlichen Toilette mit sauberem Wasser zu füllen.
    Als sie von ihrem Treffen mit Vitali berichten, überkommt Andrij stiller Ärger. Bye-bye Erdbeer? Hello Mobilfon? Soso. Die
     anderen erzählen aufgeregt von ihren neuen Jobaussichten. Muss er seinen Stolz runterschlucken und Vitali bitten, auch für
     ihn etwas zu finden? Und wenn, wird Vitali wieder einen Aufschlag machen, wie bei den Bierdosen   – Profit, getarnt als Freundschaftsdienst?
    »Komm, Andrij«, sagt Marta. »Der letzte Abend, an dem wir alle zusammen sind. Wir müssen feiern.« Genau in diesem Moment kommt
     Hund angesprungen und hat ein noch halb gefrorenes Hühnchen im Maul.
     
    Liebe Schwester,
    unsere kleine Erdbeerfamilie ist vorüber. Die Mzungus aus Polen werden sich einer Hühneranstellung unterziehen, und die chinesischen
     Mädchen sind nach Amsterdam bestimmt. Nur Andree, ich und der Hund werden im Caravan überdauern. Tomasch hat für unsere Abschiedsfeier
     eine
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Flasche italienischen Wein herbeigeführt, und in der Nähe von Dover entdeckten wir ein Feld, welches mit übermäßigen Karotten
     gesegnet ist, denen Marter mit Eifer begegnete. Sogar der Hund spendete ein gefrorenes Huhn.
    Während Marter die Karotten zerschnitt, begaben Andree und ich uns in den Wald, um Feuerholz zu sammeln, und wir kamen an
     einen schattigen Ort, wo wir Tomasch und Jola begegneten, die miteinander einhergingen und in leisen Zungen redeten. Später,
     bei ihrer Rückkehr zum Caravan, hielt Jola Tomaschs Hand und in der anderen ein Paar Damenunterbekleidung.
    Tomasch und Andree errichteten ein 1- A-Zelt mit einer Zeltplane und einem blauen Seil, gesammelt von Tomasch, und man gab mir einen eigenen Schlafplatz hinten im Landrover,
     der meiner geringen Größe entgegenkam.
    Das Festmahl, das Marter zubereitete, war vorzüglich, und Tomaschs Wein auch, und bald kam die Zeit, da wir zu singen begannen.
     Tomasch hat ein vorzügliches Lied verfasst über eine Reisegruppe und die Geschichten ihrer Liebe und Abenteuer, welches er
     zu seiner Gitarre sang. Ich möchte sehr gern lernen, wie man die Gitarre bespielt, und Tomasch hat mich bereits in einigen
     Akkorden unterrichtet. Als die Reihe an mir war, sang ich das Benedictus aus Bachs h-Moll-Messe, welches Schwester Theodosia
     mich gelehrt hat, und wir alle dankten für die Freundschaft, die wir zusammen auf

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