Caravan
Socken an der Wäscheleine. Ihnen ist die Plane weggeflogen. Der Frauenwohnwagen ist zwar eigentlich nur für Frauen, aber
Ciocia Jola macht eine Ausnahme, als sie sieht, wie triefnass die beiden sind.
»Kommt rein. Ihr könnt euch unterstellen.«
Sie trocknen sich ab und setzen sich mit aufs Bett. Marta schenkt ihnen dampfenden, süßen schwarzen Tee ein. Dann hört sie
es leise bellen, und wieder klopft es an die Tür. Es sind Hund und Emanuel. Nass sind sie nicht – auf der Pritsche des Landrovers
war es trocken –, aber sie sehnen sich nach Gesellschaft.
Freunde, die von weither kommen, sind stets willkommen
, sagt Emanuel und tritt sich die Füße an der Matte ab, bevor er hereinkommt.
Und irgendwie passen sie rein, alle sieben, Andrij sitzt auf einem Hocker, Tomasz, Emanuel und Hund sitzen auf dem Boden,
die Frauen eng beieinander auf dem Doppelbett, und so trinken sie Tee, essen das restliche Brot und die Marmelade auf und
lauschen dem Regen, der auf das Dach trommelt. An diese Nacht werde ich mich immer erinnern, denkt Marta. Freundschaft wie
diese ist ein Gottesgeschenk.
Als nach einer Weile alle wieder müde werden, strecken sich Tomasz und Andrij auf den Einzelkojen aus, und Emanuel rollt sich
zwischen ihnen auf dem kleinen Stück Fußboden |114| zusammen. Marta und Jola quetschen sich mit den chinesischen Mädchen ins Doppelbett, und Hund legt sich unten drunter. Marta,
die in der Mitte liegt, muss sich mit den Ellbogen gegen ihre Tante und eins der chinesischen Mädchen zur Wehr setzen. Die
Chinesin fühlt sich überraschend fest und warm an. Marta fragt sich, welche der beiden es ist. Auch wenn sie nie viel über
die chinesischen Mädchen erfahren hat, durch die Enge im Wohnwagen ist eine gewisse Vertrautheit zwischen ihnen entstanden.
Im Dämmerzustand zwischen Schlafen und Wachen lässt Marta noch einmal das gestrige Mahl Revue passieren. Es ist ihr ein wahres
Meisterstück gelungen. Zuerst hat sie Andrijs Fisch mit Bärlauch in Margarine angebraten und die Pilze dazugegeben, die Tomasz
auf dem Feld gefunden hat. Für das Huhn, das sie in Streifen geschnitten und in Kräutern und Tee geschmort hat, hat sie mit
einem Spritzer Wein eine herrliche Soße zubereitet. Schade, dass sie so wenig eingekauft haben, hat sie ihrer Tante nicht
ohne Vorwurf sagen müssen, aber wenigstens war noch etwas altes Brot da, aus dem sie Croutons machte, die sie mit einem Zweig
frischem Majoran vom Wegrand in der Pfanne anbriet, als würzige Beilage. Die Karotten schnitt sie in feine Julienne, dünstete
sie und richtete sie mit Margarine und Aprikosenglasur an. Sie bedauert zwar den Diebstahl der Karotten, der, wie sie weiß,
eine Sünde war, aber sie betet, dem Besitzer möge der Verlust im Himmel vergütet werden, denn wer den Armen gibt, der gibt
dem Herrn. Und auch wenn es für jeden nur eine kleine Teetasse Wein gab, reichte es, um auf die Freundschaft anzustoßen, und
auf eine glückliche Wiedervereinigung irgendwann in der Zukunft.
»Auf alle Caravanbewohner auf der ganzen Welt!«, sagte Tomasz und hob seine gesprungene Tasse.
Keiner von ihnen bekommt in dieser Nacht viel Schlaf. Sie |115| liegen alle wach, lauschen dem Sturm draußen und flüstern leise, bis der Wind abflaut, der Regen sich verzieht und der Himmel
allmählich heller wird.
Am nächsten Tag wartet Vitali am Fährterminal auf sie. Wieder spricht er in sein Handy und sieht sich dabei ständig um, unruhig,
nervös. Zum ersten Mal bemerkt Marta die Rastlosigkeit in seinen Augen, und sie hat ein unbehagliches Gefühl dabei. Nach der
Harmonie der letzten Nacht klingen seine lauten Handysprüche irgendwie falsch. Aber er lächelt freudig, als er sie sieht.
Er hat einen Begleiter dabei, einen Mann mit dem gleichen rasierten Schädel und vom gleichen dunklen Typ wie er, nur dass
er etwas älter ist und seine Züge gröber sind. Er hat eine Narbe auf der linken Wange, die bis zur Lippe geht. Vitali stellt
ihn als Mr. Smith vor.
»Mr. Smith begleitet euch«, sagt Vitali zu den chinesischen Mädchen. »Er bringt euch nach Amsterdam und stellt euch Familie von
hochrangigen Diplomat vor. Nicht wahr, Mr. Smith?«
Mr. Smith lächelt, und die Narbe zieht seine Oberlippe straff.
»Ladys. Bitte kommen Sie. Haben Sie Ihre Pässe?«
Er führt sie durch die Menge zu einem großen silbernen Auto, das vor dem Tor parkt.
»Bye-bye«, rufen die Chinesinnen und winken hinter den getönten
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