Caravan
versucht irgendein Wort aufzuschnappen, aber er redet zu schnell. In der Zwischenzeit besprechen sich Jola und Tomasz
und wägen die Freuden der Hühner gegen die Freuden der Heimkehr nach Polen ab, und plötzlich tauchen die chinesischen Mädchen
auf, mit schon fast leergeleckten Eistüten in der Hand. Mitten im Schlecken halten sie inne und fangen zu kichern an, als
sie Vitali wiedererkennen. Auch sie sind von seiner Verwandlung beeindruckt.
»Er ist jetzt … was bist du, Vitali?«
Vitali strahlt sie an, steckt das Telefon in die Tasche und setzt die dunkle Sonnenbrille wieder auf.
|106| »Dynamische Beschäftigung aktiver Agent für Personalvermittlung mit Flexibellösungen.«
Er macht eine kleine Verbeugung. Die chinesischen Mädchen kichern noch mehr, aber Vitali bringt sie mit einer dramatischen
Handbewegung zum Schweigen. Dann fährt er in beeindruckend flüssigem Englisch fort: »Wenn ihr Ladys neue Beschäftigung sucht,
ich wäre glücklich, euch eine ganze Reihe von interessante Angebote zu präsentieren.«
Aufgeregt tauschen sie einen Blick.
»Vielleicht ich könnte gute Stellung in Amsterdam für euch finden. Wart ihr schon in Amsterdam? Es ist eine Stadt mit außergewöhnlicher
Schönheit, alles auf Wasser gebaut. Wie Venedig, nur besser.«
»Ich habe Fotos gesehen«, sagt das chinesische Mädchen Nummer zwei. »Ist noch schöner als Kuala Lumpur.«
»Aber ihr habt sicher Freund in China, der auf euch wartet? Habt ihr doch alle möglichen Tricks drauf?« Plötzlich wird Vitalis
Stimme tief und honigsüß. »Schlimme chinesische Mädchen, schlaft ihr manchmal mit eurem Freund, oder? Macht schön Liebe?«
Das hört sich mehr nach dem alten Vitali mit dem sündigen Lächeln an als nach dem neuen Geschäftsmann, denkt Marta, obwohl
sie über seine Fragen ziemlich erstaunt ist.
»Kein Freund«, sagt das chinesische Mädchen Nummer eins. Nummer zwei schüttelt traurig den Kopf.
»Kein Freund. Das sind sehr gute Nachrichten. Also«, er holt wieder sein Telefon heraus und drückt ein paar Tasten. »Ich glaube,
ich habe gute Stellung für euch, Kinderbetreuung in Familie von Diplomat. Chinesischer Diplomat in Amsterdam. Hat sechs Kinder,
drei Jungen und drei Mädchen, und jede passt auf drei auf, deswegen sind zwei Personen nötig. Es sind sehr intelligente Kinder,
deshalb braucht |107| ihr große Sorgfalt und Geduld. Ihr dürft sie nicht schlagen oder anschreien. Glaubt ihr, ihr könnt das?«
»Ja, ja«, rufen sie, »aber …«
Er fängt den Blick von Nummer zwei auf und sagt schnell: »Nur vorübergehend. Nur drei Monate. Normale Kindermädchen sind in
Ferien. Hey, keine Angst, ihr kennt mich. Ihr könnt mir vertrauen – ich bin euer Freund, ich pass auf euch auf.« Er zwinkert.
»Ihr wohnt bei der Familie in große Luxusvilla in Herz von Altstadt von Amsterdam. Ihr habt euer eigenes Elite-Apartment,
und ihr fahrt überallhin per Boot. Ist sehr renommierte Stellung mit hoher Verantwortung, und Bezahlung ist angemessen. In
Euro.« Er wirft noch einen Blick auf das Telefon. »Fünftausend Euro in Monat.«
Sie schnappen nach Luft. Das klingt nach sehr viel, auch wenn sie keine Ahnung vom Wechselkurs von Euro zu Pfund oder zu Yuan
oder Ringgit haben.
»Ich muss telefonieren, um Details zu vergewissern, und rausfinden, ob diese Stellung noch frei ist. Ich treffe euch morgen
Mittag hier. Bringt euer Gepäck mit. Und eure Pässe.«
»Ich würde mich auch sehr für eine Stellung mit Kindern interessieren«, sagt Marta.
Die flauschigen braunen Hühner kommen ihr plötzlich gar nicht mehr so attraktiv vor. Doch Vitali sieht sie an, mustert sie
eine Weile, vor allem ihre Nase, und lächelt liebenswürdig.
»Ich glaube, eine Stellung mit Hühnern ist besser für dich.«
Nach dem unangenehmen Schläfchen am Strand beschließt Andrij, dass es Zeit ist, sich mal in Dover umzusehen. Hund, der immer
noch die orange Schleife um den Hals hat, kommt |108| mit. Er trottet an Andrijs Seite, nur ab und zu macht er einen Abstecher, um eine Fährte zu verfolgen, dann kommt er wieder
hinter ihm hergerannt.
Der Himmel ist schwer geworden, und das Licht hat jetzt eine schmutzig graue Färbung. Vom Schlafen in der Sonne hat er Kopfweh,
und über ihm schwebt eine Wolke von Pessimismus. Er war sich so sicher gewesen, dass er Irina in Dover finden würde – es war
eigentlich nur ein Gefühl gewesen, hatte aber auch damit zu tun, dass er wie sie über Dover nach
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