Caravan
dem Erdbeerfeld erleben durften. Und in
meinem Herzen betete ich wieder, dich liebe Schwester wiederzusehen, und für die baldige Rückgabe von Irina, denn ich wusste,
dass ein Sturm im Anzug war, weil die rote Sonne in einem wütenden Schwellen weißer und grauer Wolken unterging, die den Aufgang
des Mondes verdunkelten.
|111| Nachdem ich die Pommes aufgegessen hatte, leckte ich die Krümel vom Papier. Dann leckte ich das Fett vom Papier. Und dann
dachte ich über meine Möglichkeiten nach.
Wenn ich nach rechts ging, kam ich zu den Pappeln und dem glitzernden weißen Feld. Falls es die richtigen Pappeln waren, befand
sich dahinter das Erdbeerfeld, wo ich meine Tasche und das bisschen Geld, das ich gespart hatte, holen konnte, und die anderen
würden sich um mich kümmern und mir bei der Flucht helfen. Nach links ging es wahrscheinlich nach Dover. Dort konnte ich zur
Polizei gehen, und man würde mich nach Kiew zurückschicken, wo Mutter mit Tränen in den Augen auf mich warten würde. »Ich
habe dich gewarnt, Irina, aber du wolltest ja nicht auf mich hören«, würde sie sagen und sich dabei die Nase schnäuzen. Und
dann würde ich den Rest des Sommers in der Wohnung herumhängen, nur ich und Mutter und der Kater, wir würden einander schrecklich
auf die Nerven gehen, ich würde mir wünschen, dass Papa zurückkäme, und von England träumen.
Also ging ich nach rechts.
Die Sonne war bereits untergegangen, es dämmerte, und jetzt kam auch noch ein unangenehmer Wind auf. Wenn ich nicht in Bewegung
blieb, würde ich erfrieren.
Ich marschierte los und schwang energisch die Arme, um warm zu werden, denn ich hatte nur ein dünnes Sweatshirt an. Wenigstens
hatte ich mir gestern Abend, als die Mücken zu stechen anfingen, noch die Jeans über die Shorts gezogen. Die Straße war gewunden
und verlief zwischen hohen Hecken, so dass ich die meiste Zeit nicht sehen konnte, wo ich war. Erst ging es aufwärts, dann
abwärts. Nichts kam mir bekannt vor. Die Pappeln waren völlig aus meinem Blickfeld verschwunden.
Ich wusste nicht mehr, wie lange ich schon gelaufen war. |112| Ein Auto mit grellen Schweinwerfern fuhr vorbei, doch es hielt nicht an. Dann fing es zu regnen an. Zuerst war es nicht so
schlimm, denn ich hatte Durst und streckte die Zunge raus, um Regenwasser aufzufangen. Aber bald war mein Sweatshirt ganz
durchweicht, und ich begann zu zittern. Der Wind riss an meinen nassen Kleidern und der Regen peitschte mir ins Gesicht. Ich
litt entsetzlich!
Schließlich fing ich zu rennen an, den Kopf gesenkt, die Hände in den Taschen meines Sweatshirts. Wieder fuhr ein Auto vorbei,
doch als ich winkte, brauste es in einer Spritzwasserwolke davon. Als der Regen allmählich meine Haut aufweichte, entdeckte
ich einen alten Wellblechschuppen, ein Stück von der Straße zurückgesetzt. Ich drückte gegen die Tür, und sie öffnete sich
quietschend. Drinnen roch es nach Schmieröl. In der Ecke unter einer Plastikplane rostete ein Teil von einem alten Motor vor
sich hin. Es gab sogar einen alten Stuhl. Was für ein Glück! Ich setzte mich. Der Stuhl kippelte. Er hatte nur drei Beine.
Na ja, es blieb mir nichts übrig, als dazusitzen und den Morgen abzuwarten.
Marta liegt gemütlich in ihrer Koje und lauscht dem Regen, der auf das runde Dach des Wohnwagens prasselt – ein leises, heimliches
Klopfen, wie von einem Freund, der eingelassen werden will. Sie denkt an Irina. Im anderen Bett liegt Ciocia Jola und murmelt
im Schlaf vor sich hin, offenbar in eine nächtliche Zankerei verstrickt. Selbst im Traum findet die Tante noch jemanden, an
dem sie herummeckern kann. Die Regentropfen werden lauter, drängender. Ein frischer Wind ist aufgekommen, der an den dünnen
Wänden ihres klapprigen Heims rüttelt und durch die karierten Vorhänge vor den offenen Fenstern bläst. Die chinesischen Mädchen
im Doppelbett sind ebenfalls hellwach und kuscheln sich |113| aneinander. Mit einem letzten Schnauben gewinnt Ciocia Jola ihr Traumgezank, dann steht sie auf und schließt die Fenster.
Marta stellt den Kessel auf und schmiert ein paar Brote mit Margarine und Aprikosenmarmelade, und bald ist es im Wohnwagen
dampfig und warm. Alle vier sitzen sie im Nachthemd auf dem Doppelbett, essen Marmeladebrot und unterhalten sich ohne Grund
im Flüsterton.
Plötzlich klopft es lauter, und sie hören Männerstimmen. Marta öffnet die Tür. Andrij und Tomasz stehen draußen, nass wie
zwei
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