Caravan
zurückgekommen, um
mir aufzulauern. Mir aufzulauern, damit er …
Stopp. Denk nicht daran. Jedes Mal, wenn du an ihn denkst, hat er dich schon.
Das Fährterminal ist fast menschenleer, und es ist still bis auf ein heulendes, müdes kleines Mädchen mit schokoladenverschmiertem
Gesicht, das am Rock seiner ebenso müden Mutter zerrt. Marta erinnert sich an das Gedränge und die Aufregung bei ihrer Ankunft,
es ist gerade mal ein paar Wochen her. Jetzt wirken alle hier niedergeschlagen. Andrij ist am Strand geblieben. Emanuel will
sich die Schiffe ansehen. Die beiden chinesischen Mädchen sind draußen und essen Eis. Jola und Tomasz suchen den Schalter,
wo man die Fahrkarten umtauschen kann. Jola hat ein ganz rotes Gesicht: vielleicht vom Stress, oder aber sie hat vorhin am
Strand zu viel Sonne abbekommen, als ihr der Hut wegwehte – die Flüche, die sie ausgestoßen hat, waren schlimm. Tomasz hat
einen stinkenden Turnschuh an einem Fuß und einen Turnschuh, der nass und zwei Nummern zu groß ist, am anderen. Auf der Nase
hat er einen Sonnenbrand. Doch Marta kann sich nicht weiter darauf konzentrieren, was die anderen machen, denn sie muss dringend
auf die Toilette.
|101| Während Jola und Tomasz sich auf die Suche nach dem Fahrkartenschalter machen, der sich in einem anderen Teil des Gebäudes
befindet, folgt Marta den Schildern zum WC. Sie ist schon wieder auf dem Rückweg, als sie einen jungen Mann entdeckt, der an der Kaffeebar steht und in ein Mobilfon spricht.
Er scheint sich suchend nach jemandem umzusehen. Er ist groß und schick angezogen, mit einem Goldkettchen um den Hals und
einem funkelnden Diamantohrring. Sein rasierter brauner Schädel glänzt, und er trägt eine schwarze Sonnenbrille, mit der er
etwas zwielichtig aussieht. Irgendetwas an ihm kommt ihr bekannt vor. Marta versucht, einen zweiten Blick zu erhaschen, ohne
dass es zu auffällig wird. Plötzlich grinst er sie an und winkt. Soll sie zurückwinken? Dann nimmt er die dunkle Sonnenbrille
ab, und jetzt erkennt sie ihn sofort: Es ist Vitali.
Er verstaut das Mobilfon in seiner Tasche und schlendert zu ihr herüber.
»Hallo, Marta. Wie läuft es so?«
»Okay.« Sie zögert. Es ist so viel passiert seit ihrem letzten gemeinsamen Abendessen. »Also, ehrlich gesagt, Vitali, nicht
so gut. Wir mussten die Erdbeeren verlassen. Der Bauer ist verletzt, und Ciocia Jola hat Angst wegen der Polizei.«
»Hm. Polizei ist nicht gut.«
»Im Moment versuchen sie, die Fahrkarten umzutauschen.«
»Sie gehen zurück nach Polen?«
»Wir gehen alle, so schnell wie möglich. Und du, Vitali, was machst du? Du siehst schick aus. Bist du fertig mit Erdbeeren?«
»Bye-bye Erdbeer. Hello Mobilfon.« Er lächelt geheimnisvoll, dann senkt er die Stimme. »Agent für Personalvermittlung«, sagt
er auf Englisch.
»Vitali!« Marta ist beeindruckt. »Was ist das?«
|102| »Dynamische Beschäftigungslösungen. Aktive«, er macht eine schnelle, schneidende Bewegung mit der Handkante, »organisatorische
Antwort auf flexible Personalanforderungen.« Seine Ausdrucksweise ist atemberaubend.
»Du bist Businessmann geworden, Vitali! Englischer VIP.«
Als sie ihn so ansieht, schämt sie sich plötzlich für ihre eigene Schäbigkeit. Der lockige, grinsende, erdbeerpflückende Vitali
mit seiner sympathischen unberechenbaren Art hat sich in einen gewieften, selbstbewussten Geschäftsmann verwandelt, der mühelos
zwischen Polnisch und Englisch hin- und herspringt.
»Zu schade, dass ihr so schnell zurückmüsst. Ich kann euch Eins-a-Jobs hier in der Gegend besorgen. Hohe Bezahlung. Komfortable
Unterkunft.«
»Ach, Vitali, du sprichst Versuchung! Ich würde bleiben, aber ich glaube, Ciocia Jola will nach Hause. Sie vermisst ihren
Sohn.« Sie bemerkt das sündige Funkeln in seinen Augen und denkt, wie schön es wäre, ihn auf den Pfad der Tugend zurückzuführen.
In diesem Moment tauchen Jola und Tomasz auf, mit wütenden Gesichtern. Sie haben die Fahrkarten nicht umtauschen können. Der
Schalter ist geschlossen. Eine Frau hat ihnen gesagt, dass sie morgen zurückkommen sollen, oder sie müssen zur Verkaufsstelle
in die Stadt gehen und sich dort anstellen, möglicherweise bekommen sie dann eine Stornierung. Jetzt streiten sie, wer die
Frau war, die ihnen die Auskunft gegeben hat, und was genau sie gesagt hat. Jola meint, sie war die Putzfrau oder vielleicht
eine verärgerte Kundin, und dass man ihrem Wort nicht trauen
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