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Caravan

Titel: Caravan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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kann. Tomasz sagt, sie war von der Hafenbehörde, und es sei bedauerlich,
     dass Jola so herablassend war und sie einfach stehen gelassen hat, ohne zuzuhören.
    |103| »Warum können die nicht einen Zettel aufhängen, statt die Leute in der Hitze rumrennen zu lassen wie die Rindviecher?«, schäumt
     Ciocia Jola. »Wo ist das Klo? Hast du das Klo gefunden, Marta? Wer ist denn das?« Sie reißt die Augen auf. »Vitali?«
    Vitali schüttelt ihr herzlich die Hand.
    »Ich höre, ihr wollt nach Polen zurück, Jola.«
    »Wer hat dir das erzählt?«
    »Ciocia, ich habe es ihm erzählt«, sagt Marta so sanft wie möglich. »Sei nicht ärgerlich. Vitali sagt, er kann uns Eins-a-Arbeit
     in der Gegend besorgen. Vitali, sag Ciocia Jola, was du tust.«
    »Agent für Personalvermittlung. Aktive dynamische Beschäftigungslösung mit Flexibelkapazität im Voraus zu organisatorische
     Personalanforderungen.« Beim zweiten Mal scheint er noch schneller zu sprechen.
    »Mein Gott!«, sagte Jola. »Vitali, aus dir ist was geworden.«
    Er senkt bescheiden den Kopf.
    »Ich arbeite für britisches Unternehmen. Nightingale Human Solutions. Ich habe Training Seminar besucht.«
    »Training Seminar. Was ist das, Vitali?« Marta kann die Bewunderung in ihrer Stimme nicht verhehlen.
    »Ach, nichts Besonderes«, Vitali lächelt bescheiden. »Kann jeder. Man muss nur ein paar Wörter auf Englisch lernen. Und natürlich
     Kontakte. Das Wichtigste sind Kontakte.«
    »Du hast Kontakte, Vitali?«, fragt Jola. Trotz ihrer früheren Stellung als Vorarbeiterin und Anführerin der Gruppe flößt der
     neue Vitali auch ihr Respekt ein.
    »Er hat Mobilfon«, flüstert Marta.
    Nur Tomasz scheint nicht beeindruckt.
    »Wir sind nicht auf der Suche nach Jobs, vielen Dank, |104| Vitali. Wir planen die Rückreise nach Polen, sobald wir die Fahrkarten umgetauscht haben.«
    »Oh, Fahrkarten umtauschen geht nicht. Ihr müsst neue Fahrkarten kaufen. Dafür braucht ihr Geld.«
    »Die Eins-a-Arbeit, von der du redest«, fragt Jola, »was ist das für eine Bezahlung?«
    Vitali zögert einen Moment, als würde er ein paar Kopfrechnungen anstellen.
    »Bewegt sich zwischen fünf- und sechshundert Pfund die Woche. Abhängig von Leistung. Vielleicht mehr.«
    Alle schnappen nach Luft, sogar Tomasz. Das ist dreimal so viel, wie sie auf dem Erdbeerfeld verdient haben, vor den Abzügen.
    »Und ihr könnt Caravan bye-bye sagen. Ihr wohnt in Luxusunterkunft.«
    »Und die Arbeit – was müssen wir tun?«, fragt Marta.
    »Geflügel.« Vitali wechselt wieder ins Englische. »Ihr helft mit bei dynamische Ankurbelung der Geflügelindustrie auf Britische
     Inseln. Oder, wie wir auf Polnisch sagen«, er zwinkert Marta zu, »ihr füttert Hühner.«
    Marta stellt sich vor, wie sie mitten in einer Schar wohlgenährter brauner Vögel steht, die fröhlich gackern und scharren,
     während sie Händevoll Körner unter sie streut. Ihr geht das Herz auf.
    Aber Tomasz flüstert Ciocia Jola zu: »Denk an Mirek. Denk an die Polizei.«
    »Ja«, Ciocia Jola macht ein niedergeschlagenes Gesicht. »Wir wollen keine Probleme. Besser, wir gehen heim. Wenn wir bei diesen
     Idioten von der Fähre irgendwann drankommen. Wir versuchen es morgen noch mal. Was sagst du, Marta?«
    Bevor Marta irgendetwas sagen kann, mischt sich Vitali ein.
    |105| »Durch meine Kontakte habe ich erfahren, da der Bauer nicht tot ist, sondern nur verletzt, gibt es kein Problem mit Polizei.«
    »Auch wenn er nur verletzt ist«, entgegnet Tomasz, »sie müssen doch Nachforschungen anstellen.«
    »Das sind nur Formalitäten. Ist doch schade, wenn ihr die Chance verpasst, viel gutes englisches Geld zu verdienen. Denkt
     an Investition, die ihr mit dem Geld für Reise hierher schon gemacht habt. Denk an Luxus, den du mit dem Geld für deinen Sohn
     kaufen kannst, Jola.«
    »Mhm«, sagt Jola. Marta kann die Gedanken sehen, die über ihr Gesicht wandern.
    Plötzlich erschallt dicht bei ihrem Ohr laute, fröhliche Musik. »Di di daah da! Di di daah da!« Marta zuckt erschrocken zusammen.
     Es ist Vitalis Mobilfon.
    »Entschuldigung!« Er reißt das Telefon aus der Brusttasche und fängt an, in einer Sprache zu reden, die weder Englisch noch
     Polnisch noch Ukrainisch noch Russisch ist, und wedelt dabei mit der freien Hand durch die Luft. Er wird immer aufgeregter.
     Anscheinend streitet er sich mit irgendwem. Zwischendrin hält er das Telefon mit einer Hand zu und flüstert: »Entschuldigung,
     sorry. Dringende Geschäfte.«
    Marta

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