Carina - sTdH 3
mußten.
Sie
bemühten sich gar nicht erst, Carina in ihr Gespräch einzubeziehen. Die
Unterhaltung drehte sich den ganzen Nachmittag um die Frage, wann Onkel Jeremy
sterben und Lord Harry ihn beerben würde. Ein einziges Mal schienen Lord Harrys
Schwestern Carina wahrzunehmen, als sie sich nämlich einstimmig dahingehend
äußerten, daß es eine Schande sei, daß der arme Harry heiraten müsse, um das
Geld zu bekommen.
Carina,
deren Glaube an die wahre Liebe durch Guy Wentwater ohnehin schon erschüttert
war, fühlte sich durch die Carchesters zunehmend in die Rolle einer Person
gedrängt, mit der man wohl ober übel vorlieb nehmen mußte. Ohne es direkt
auszusprechen, schien Lord Harrys Familie ihre Heirat als Vernunftheirat zu betrachten.
Sie liebten diesen einen Adonis in ihrer Familie abgöttisch, und vielleicht
wäre ihnen für ihren Bruder überhaupt kein Mädchen gut genug gewesen.
Trotzdem
fühlte sich Carina von Minute zu Minute kleiner und häßlicher und versuchte
sich mit der Vorstellung zu trösten, daß ein paar einfach umwerfende junge
Männer zu Besuch kämen und jeder, aber auch jeder sich auf der Stelle Hals über
Kopf in sie verliebte.
Die Zeit
ist etwas Seltsames. Manchmal scheint sie zu fliegen, manchmal scheint sie
stillzustehen. Carina war überzeugt, daß eine ganze Stunde vergangen sei, und
brach beinahe in Tränen aus, als sie merkte, daß sie erst zehn Minuten die
Gesellschaft ihrer zukünftigen Verwandten hatte ertragen müssen.
Lady
Godolphin war gar nicht die alte. Den Tee lehnte sie ab und verlangte statt
dessen Brandy. Sie bestand darauf, Lady Carchester ein Enthaarungsrezept zu
geben, bei dem man eine Unmenge ungelöschten Kalk verwenden mußte.
Lady
Godolphin fand den Schnurrbart der Countess faszinierend und kam immer wieder
auf dieses Thema zurück. Sie erzählte eine Geschichte, wie es der Earl of
Albemarle, der i752 Sonderbotschafter in Paris gewesen war, fertiggebracht
hatte, einen »berühmten Meister« dazu zu überreden, nach England zu fahren und
dieDuchess of
Newcastle, die Frau des Innenministers, aufzusuchen. Er befreite die Oberlippe
der Duchess von Haaren. »Die Prozedur dauerte nur eine Minute und drei
Sekunden.« Der Duke war so entzückt, daß er dem Franzosen eine lebenslängliche
Pension von 400 Pfund jährlich aussetzte.
Dann fuhr
sie fort, ein anderes Enthaarungsmittel von Marcus Hyams zu empfehlen – »ein
Rasiermittel ohne Klinge, Seife oder Wasser«.
Das meiste
von dem, was sie sagte, traf auf Unverständnis, da Lady Godolphin nicht von
›depilieren‹, sondern ›debilieren‹ sprach. Der Earl versuchte sich
die Sache schließlich damit zu erklären, daß sie über Mittel zur Stärkung der
Potenz sprach, und brachte sie zum Schweigen, indem er sagte, daß das kein
geeignetes Salongespräch sei. Daraufhin waren nicht nur alle anderen, sondern
auch Lady Godolphin äußerst verwirrt.
Endlich war
es Zeit, aufzubrechen.
Lord Harry
verabschiedete sich ohne viel Aufhebens, aber liebevoll von seiner ihn
anhimmelnden Familie. Carina knickste tief und hoffte dabei, daß sie sie alle
so sehr ablehnten, daß sie eine Hochzeit verbieten würden.
Auf der
anderen Seite würde das bedeuten, daß sie nach Hause zurückkehren müßte. Es war
unmöglich, Annabelle oder Minerva vorzuschlagen, bei einer von ihnen zu leben,
weil sie ihren Vater nicht ausstehen konnte. Minerva würde bis in die tiefsten
Tiefen ihrer christlichen Seele erschrecken, und Annabelle würde sie einfach
auslachen.
Auf dem
Heimweg klagte Lady Godolphin einem nichtsahnenden und dennoch mitfühlenden
Lord Harry vor, wie seltsam und unberechenbar doch die Männer seien, und Carina
tat so, als döse sie. Bald wurde aus dem Spiel Wirklichkeit, und sie war fest
eingeschlafen.
Mittlerweile hatte Guy Wentwater Silas Dubois
schon fast vergessen. Er hatte Hopeworth mit seinen Freunden so schnell wie
möglich verlassen. Seine Freunde hatten ihn kräftig verflucht, daß er siein so eine
Lage gebracht hatte. Mitten in der Nacht waren sie von Lord Harry Desire aus
den Betten geholt und auf sehr bestimmte Art aufgefordert worden, Schweigen
über das zu bewahren, was sie erlebt hatten.
Guy
Wentwater schlenderte ins Kaffeehaus Humbold in St. James'. Die Anzeige von
Carinas bevorstehender Verlobung hatte ihn nicht überrascht. Wahrscheinlich
hatte Lord Harry sie mit Gewalt gezwungen, in die Verlobung einzuwilligen, und
zerrte sie an den Haaren zum Altar.
Ein
Schatten fiel über ihn, und beim Aufschauen
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