Carina - sTdH 3
würde geschehen, so
daß sie ihr Versprechen nicht halten mußte.
»Ach,
irgendein entfernter Verwandter. Ein unangenehmer Mensch. Silas Dubois.«
Sie fuhren
schweigend weiter.
»Nanu, was
ist denn da los?« fragte Lord Harry fröhlich. »Hier geht es ja lustig zu.«
Zwei
riesige Reisekutschen blockierten die kurze Auffahrt zum Pfarrhaus. Livrierte
Diener eilten geschäftig hin und her.
Die Haustür
flog auf.
Minerva und
Annabelle standen auf der Schwelle und hielten die Arme zur Begrüßung auf.
Carinas ältere Schwestern waren heimgekommen.
So mußte
sie Lord Harry Desire wohl heiraten.
Sie
verabscheute den Mann. Zwar war er alles andere als unsympathisch, aber sie,
Carina Armitage, die sich immer etwas darauf zugute gehalten hatte, die
intelligenteste unter den Schwestern zu sein, sollte lebenslang an einen – wenn
auch gutaussehenden – Dummkopf gebunden sein!
Minerva
mußte sich etwas einfallen lassen. Minerva war immer in der Lage gewesen, alle
Probleme zu lösen.
Aber zwei
Minuten in der Gesellschaft ihrer Schwestern genügten, um ihre Hoffnungen zu
zerschlagen. Sie waren entzückt von ihrer Wahl. Sie hielten Lord Harry für den
feinsten Mann, dem man in der Londoner Gesellschaft begegnen konnte. Ihre
eleganten Schwager, der Marquess of Brabington und Lord Sylvester Comfrey,
waren ebenfalls aus dem Pfarrhaus gekommen. Sie klopften Lord Harry auf den
Rücken und hießen ihn in der Familie willkommen.
Der Vikar
beobachtete hinter dem Vorhang seines Arbeitszimmers
Carinas Gesicht.
Sie sah
todunglücklich aus. Wie ein Tier in der Falle!
Er
verfluchte sich selbst. Entgegen seinen Befürchtungen hatte ihm Lord Sylvester
eine beachtliche Geldsumme überreicht, ohne auch nur ein einziges Wort des
Vorwurfs laut werden zu lassen.
Es wäre also
gar nicht nötig gewesen, seine Tochter zu opfern. Aber sie hatte versprochen,
den Mann zu heiraten.
Was sollte
er da machen?
Sechstes
Kapitel
Die
guten Ehen und
kurzen Verlobungszeiten der Armitage-Mädchen wurden zum allgemeinen
Gesprächsstoff.
In den
Monaten, die ihrer Hochzeit vorausgingen, sah Carina ihre beiden älteren
Schwestern häufig und hätte reichlich Gelegenheit gehabt, sich auszusprechen.
Aber
Annabella und Minerva gehörten so der großen Welt an, sie waren so mondän
geworden, daß es unmöglich schien, ihnen zu beichten, daß sie in Guy verliebt
war. In gewisser Weise rivalisierten die sechs Schwestern ständig miteinander.
Zwar wuchs Annabelles Zuneigung zu Minerva ständig, und sie hatte sie lieber
als je zuvor, aber die alte Rivalität war doch noch da. Minerva hatte einen
Sohn bekommen, ein lebhaftes, entzückendes Baby, während an Annabelle bis
jetzt noch keinerlei Anzeichen zu bemerken waren, daß sie ihren Gatten mit
einem Erben beglücken wollte. Und deshalb beneidete sie Minerva und neigte
dazu, sie übermäßig zu bedauern, weil sie als Mutter eines kleinen Kindes so
selten an gesellschaftlichen Ereignissen teilnehmen konnte – wobei sie jedoch
geflissentlich übersah, daß Minerva ein Kindermädchen, eine Kinderschwester
und eine große Dienerschaft hatte, die sich nur zu gern um das Baby kümmerten.
Carina
ihrerseits war immer eifersüchtig auf Annabelles strah lende Schönheit
gewesen. Sie war auch auf Minervas selbstsicheres Auftreten neidisch. Aber sie
hatte sich immer mit dem Umstand getröstet, daß sie, Carina, der helle Kopf der
Familie war. Wie konnte jemand von ihrer Intelligenz sich zu so viel Dummheit
bekennen? Hätte sie vielleicht sagen sollen, »ich habe mich in einen gemeinen
Schuft verliebt und war nur einverstanden, Lord Harry zu heiraten, um aus dem
demütigenden Schlamassel wieder herauszukommen«?
Außerdem
bedeutete eine Absage an Lord Harry, daß sie zu Hause bei Papa bleiben mußte,
und Carina verabscheute den Vikar noch immer und hielt ihn für den schlimmsten
aller Männer: vulgär, eingebildet und tyrannisch.
Carina war
viel in London, da sich ihre älteren Schwestern begeistert auf die
Hochzeitsvorbereitungen warfen.
Auch ein
Besuch bei Lord Harrys Verwandten war fällig, und Carina war sich darüber im
klaren, daß sie ihn nicht länger aufschieben konnte. Lord Harrys Vater, der
Earl of Carchester, hatte seine Besitztümer nördlich von London.
Vielleicht
spürte Lord Harry ihr Widerstreben und hatte deshalb entschieden, daß ein
Nachmittag für den Besuch ausreichte, vielleicht hätte ein längerer Besuch es
mit sich gebracht, daß auch die übrige Familie Armitage eingeladen werden
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