Carina - sTdH 3
Jammers.
Carina
fühlte sich furchtbar hilflos und wünschte, Lord Harry würde aufwachen. Eine
große Träne rollte Lady Godolphines Wange hinab und färbte sich durch das Rouge
rot.
Carina
stach mit der Spitze ihres Sonnenschirms in eines der wunderbaren Beine von
Lord Harry.
»Au!« rief
Seine Lordschaft und rieb sein Bein. Sein himmelblauer Blick traf auf Lady
Godolphins kummervolles Gesicht.
»Sie
sollten sich nicht so echauffieren, Madam«, sagte er sanft. »Es schadet Ihrer
Schönheit. Was ist los?«
»Ich bin
ein bißchen reisekrank vom Schaukeln der Kutsche«, antwortete Lady Godolphin
mit leidender Miene.
Er zog ein
silbernes Riechfläschchen aus der Tasche und reichte es ihr.
Ich bin
also nicht die einzige, die zu feige ist, über ihre Torheiten und Demütigungen
zu sprechen, dachte Carina.
Sie drückte
Lady Godolphins Hand, und ihre Augen füllten sich mit Tränen der Anteilnahme.
Haßte Guy sie wirklich so sehr? Ach, wenn doch ein Wunder geschähe, das ihn
wieder zu ihr zurückbrächte. Dann würde er ihr sagen, daß er vor lauter
Trinken den Verstand verloren hatte und daß seine Liebe zu ihr ihn fast umbrachte!
Dann wieder erdrückte die Schande sie beinahe. Es war mehr, als sie ertragen
konnte.
Oft fuhr
sie aus ihren Träumen hoch und hatte noch die höhnenden Stimmen im Ohr.
Lord Harry
schaute hoffnungsvoll auf Lady Godolphin, als ob er auf etwas warte, aber sie
schniefte still vor sich hin und nickte dann ein.
Carina
blickte aus dem Fenster und hoffte, daß er nichts von ihrem Kummer gemerkt
hatte.
Zu ihrer
Erleichterung schlief er wieder ein.
Sie fragte
sich, wie seine Familie wohl war. Er hatte ihr erzählt, daß er drei jüngere
Brüder und zwei kleine Schwestern hatte. Seine Brüder hießen William, Paul und
Jonathan; die Mädchen Amy und Elizabeth. Die Brüder waren unverheiratet. Das
machte alles sehr aufregend. Vielleicht dachten sie, Lord Harry wäre in die
Falle gelockt worden, und würden ihn überreden, sie nicht zu heiraten – was ihr
zwar durchaus recht sein konnte, aber nichtsdestoweniger doch sehr unangenehm
wäre.
Vor ihrem
geistigen Auge konnte sie sie jetzt sehen, zu ihrer Begrüßung aufgereiht; alle
wunderbar gekleidet, mit ausgezeichnetem Benehmen und unfaßbar dumm.
Schließlich
bog die Kutsche in eine Auffahrt ein und rollte sanft auf einer glatten Straße
durch eine schöne Parklandschaft.
Der Wohnsitz
des Earl of Carchester hieß Archer Hill. Carina fragte sich, ob Archer ein
alter Familienname sei.
Es stellte
sich heraus, daß Archer Hill ein ziemlich modernes Gebäude war, das erst vor
etwa sechzig Jahren erbaut worden war, als die adligen Familien ihre Wohnräume
vom ersten Stock in das Erdgeschoß verlegten und große Flügeltüren einbauen
ließen, um die Landschaft unmittelbarer genießen zu können.
Die Sonne
war hinter den Wolken, als sie unter der Vorhalle zum Stehen kamen, und ein
eisiger Wind schüttelte die kahlen Äste der Bäume. Ein trauriger, zerzauster
Pfau ließ einen heiseren Schrei vernehmen, bevor er sich umdrehte und wegging.
Lord Harry
erwachte so unbekümmert und schnell, wie er eingeschlafen war. Lady Godolphin
nahm sich tapfer zusammen, als man ihr aus der Kutsche half, auch wenn sie so
aussah, als wäre ihr danach zumute, sich richtig auszuweinen.
Ein paar
Minuten später suchte Carina vergeblich in den Gesichtern der Familie
Carchester auch nur eine Spur von Ähnlichkeit mit Lord Harry.
Sie waren
alle bemerkenswert dunkel, gedrungen und häßlich. Die Countess of Carchester,
Lord Harrys Mutter, war eine überaus kräftige, düster blickende Frau mit einem
starken Bartwuchs auf der Oberlippe und einer ungesunden, gelblichen
Gesichtsfarbe. Mit ihren wäßrigen braunen Augen musterte sie ihren Sohn und
seine Verlobte mißtrauisch. Carina sollte noch erfahren, daß die Countess immer
so schaute.
Sein Vater,
der Earl, war ebenfalls untersetzt und bläßlich, aber während seine Frau an
allen möglichen falschen Stellen mit üppigem Haarwuchs gesegnet war, hatte er
an den richtigen Stellen kein einziges Haar – er war kahlköpfig wie ein
Bleßhuhn.
Lord Harrys
drei Brüder und zwei »kleine« Schwestern – sie waren etwa so alt wie Carina –
waren sämtlich untersetzte, dunkle Gestalten, die einer Ansammlung von Trollen
glichen.
Ihren
Mangel an Schönheit machten sie durch ihr überschäumendes Wesen wett. Sie
lachten unentwegt laut über Familienscherze,die für
einen Außenseiter unverständlich bleiben
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