Carina - sTdH 3
ein
Mann wie der andere. Glücklicherweise stößt mich keiner so ab wie du.«
»Was!«
schrie der Vikar, der seinen Ohren nicht traute.
»Schlag
mich ruhig, wenn es dir dann besser geht«, sagte Carina, immer noch in diesem
schrecklichen, unbeteiligten Tonfall. »Du bist ein Windbeutel, Papa; ein
egoistischer, angestrichener, aufgeblasener Tölpel. Du würdest deine Töchter
auf dem Sklavenmarkt verkaufen, wenn sie dir nur genügend einbringen würden.
Ich heirate Lord Harry, um von dir und deiner abstoßenden Gegenwart
fortzukommen. Wie es Mama all die Jahre mit dir ausgehalten hat, ist mir ein
Rätsel. Eigentlich müßtest du froh sein. Schon wieder steht ein reicher Ehemann
im Armitage-Stall. Wenn du mich jetzt bitte entschuldigst, ich muß mich
hinlegen.«
Der Vikar
stand nach Luft schnappend da, die Augen traten ihm aus dem Kopf, und er mußte
seine Hand aufs Herz pressen.
Carina ging
an ihm vorbei und schloß leise die Bibliothekstür hinter sich.
In
letzter Zeit war
Squire Radford ein äußerst unglücklicher und einsamer Mann. Die langen Tage
waren ohne Klatsch, Unruhe oder Zwischenfälle vorbeigegangen. Er hatte ein
schlechtes Gewissen. Er hatte seinen Freund, den Vikar beschuldigt, daß dieser
nicht gläubig sei, und er hatte ihn obendrein wegen seines Aussehens beleidigt.
Tatsache
war, daß das Leben ohne den, wenn auch aufgeplusterten und anmaßenden Vikar
langweilig war. Eine solch beunruhigende Langeweile hatte er noch nie im Leben
empfunden; dazu kamen die vielen kleinen Schmerzen und Kümmernisse des Alters,
so daß sich der Squire düster zu fragen begann, wie lange er das wohl noch
aushalten müsse. Fest stand nur eines: Er mußte mit seinem alten Freund Frieden
schließen.
Aber der
Vikar war in London. Der Squire war zwar zur Hochzeit eingeladen, aber ganz
plötzlich fand er, daß er nicht bis dahin warten konnte, um sich bei Charles
Armitage gebührend zu entschuldigen. Er wollte noch am selben Nachmittag in
die Hauptstadt aufbrechen und ihn aufsuchen.
Das Tor am
Ende seiner Auffahrt knirschte laut in den Angeln. Er stand auf und ging zum
Fenster.
Eingehüllt
in einen Mantel mit mehreren Schultercapes übereinander kam Hochwürden Charles
Armitage gemächlich die Auffahrt heraufgeritten.
Freudig
erregt klingelte der Squire seinem Diener und befahl ihm,den Vikar
sofort in die Bibliothek zu bitten und eine Flasche vom besten Portwein aus dem
Keller zu holen.
Dann eilte
er selbst an die Tür, um sie zu öffnen. Der Stallknecht führte gerade das Pferd
des Vikars zur Rückseite des Hauses.
Charles
Armitage stand auf der Schwelle, seinen Schaufelhut in der Hand. Er blickte mit
tränenfeuchten Augen auf den Squire und platzte heraus: »Ich brauch' deine
Hilfe, Jimmy. Ich bin in großen Schwierigkeiten.«
»Komm
herein, Charles!« rief der Squire äußerst beunruhigt.
Er zog
seinem Freund den schweren Mantel von den Schultern und schob den Vikar unter
beschwörendem, tröstenden Gemurmel und kleinen freundschaftlichen Stößen in den
Rücken zu seinem angestammten Sitzplatz vor dem Feuer.
Der Squire
ließ sich gegenüber nieder und lehnte sich nach vorne. »Ich habe dich vermißt,
Charles«, sagte er. »Ich bin selber schuld. Ich kann mir meine harten Worte
nicht verzeihen.«
»O nein!«
stöhnte der Vikar ganz außer sich. Er hielt seine ungeschlachten Hände vor die
Augen und weinte und weinte. Schließlich zog er ein riesiges rotes Taschentuch
heraus und schnaubte seine Nase mit einem Ton, als wolle er Tote aufwecken.
Dann rieb er seine Augen trocken.
»Tsk! Tsk!«
machte der arme Squire nun wirklich in allergrößter Sorge trotz des tröstlichen
Funkens, der ihn durchglühte: Charles war in Schwierigkeiten, und er war zu ihm
gekommen, wie schon so oft zuvor, um seinen Rat zu erbitten.
»Wir haben
auch schon früher Sorgen gehabt, Charles«, sagte der Squire ernst, »aber
zusammen haben wir alle Probleme gelöst. – Ah, Ram. Stell die Flasche und die
Gläser auf den kleinen Tisch und bring ihn zu uns rüber. Laß uns allein! –
Charles, jetzt trinkst du erst einmal ein Glas, und dann erzählst du mir, was
los ist.«
Der Vikar
schniefte zum Herzerbarmen, brachte es aber nichtsdestoweniger fertig, ein
ganzes Glas Portwein, ohne auch nur ein einziges Mal Luft zu holen,
herunterzustürzen. Seine Miene hellte sich auf, und er bediente sich sofort ein
zweites Mal.
»Ich schäme
mich so«, sagte er und legte sein Gesicht in so viele Falten wie ein Baby,
unmittelbar bevor es zu schreien
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