Carina - sTdH 3
mußte
– jedenfalls stellte sich heraus, daß er und Carina den Earl of Carchester und
dessen Familie zum Tee besuchen und noch am selben Abend wieder nach London
zurückkehren wollten.
Carina
fürchtete sich vor dem Besuch. Sie stellte sich eine ganze Familie von Lord
Harrys vor – liebenswürdig, makellos in ihrem Äußeren, aber dumm.
Seit
Hopeworth war sie nie mit ihm allein gewesen. Erstaunlicherweise schien er
ganz zufrieden damit zu sein, sie in Gesellschaft anderer zu sehen; obwohl es
viele Gelegenheiten gab, mit ihr allein zu sein, nutzte er diese nicht.
Carina
hatte sich eine ganze Reihe von Gesprächsstoffen eingeprägt, mit denen sie die
Zeit auf der Reise vertreiben wollte. Stille war eine viel zu intime
Angelegenheit.
Sie
befürchtete, daß er sich ihr noch einmal so leidenschaftlich nähern könnte.
Manchmal sah sie sich schon in irgendeiner Nebenstraße um ihre Tugend kämpfen
– eine Vorstellung, die allein schon zeigte, in welch aufgewühltem Zustand sie
sich befand. Der Gedanke war absurd, ein solch feiner und ausgeglichener
Mensch wie Lord Harry Desire könne den Wunsch haben, Carina vor den Augen
zweier Lakaien an einem feuchten Wegrand ihrer Jungfernschaft zu berauben, wo
er sie doch in nur ein paar Monaten im warmen Bett haben konnte.
Zu ihrer
großen Erleichterung und Überraschung erfuhr Carina im letzten Moment, daß Lady
Godolphin sie begleiten würde.
Carina trug
ein Kleid aus Musselin mit einem enganliegenden Oberteil und einem bestickten
Einsatz. Dazu gehörte eine Pelerine mit langen Ärmeln, die ihr über die Hände
fielen. Ein Kapotthut aus weißer Seide mit erhabenen Punkten, der mit blauen
Satinbändern unter dem Kinn gebunden wurde, schmückte ihren Kopf.
Lady
Godolphin war ebenfalls feingemacht, oder was sie dafür hielt. Wegen ihres
jugendlichen Liebhabers, Mr. Anstey, zog sich Lady Godolphin jetzt wie ein
junges Mädchen an.
Ihr
Musselinkleid war ein Gedicht in Rosa und Weiß mit Rüschen hier und Fältchen
dort. Ihre Flachsperücke leuchtete wie die Sonne am Himmel, und ihre verblühten
Wangen waren so rot wie Holzäpfel im Herbst.
Für Carina
war es peinlich zu beobachten, daß Lady Godolphins Suche nach der ewigen Jugend
sich keineswegs mit ihrem Äußeren begnügte. Sie kicherte und schäkerte und
tätschelte Lord Harrys Handgelenk mit ihrem Fächer. Zu allem Überfluß sprach
sie von sich und Carina als »wir Mädchen«.
Lord Harry
lächelte in Erwiderung auf Lady Godolphins Annäherungsversuche unbestimmt und
schlief dann in einer Wagenecke ein.
Sie fuhren
mit seiner Reisekutsche. Der Tag war kalt und frisch, aber Carina hatte das
Verlangen, ein Fenster zu öffnen, da Lady Godolphins Parfum noch abscheulicher
als das von Hochwürden Armitage war. Es war eine kräftige Mischung aus
Moschus, Lavendel, Rosenwasser, Joppa-Seife, Schweiß, Knoblauch undUnaussprechlichem.
»Es ist
alles sehr romantisch«, seufzte Lady Godolphin und schaute den schlafenden Lord
Harry lächelnd an. »So ein schöner junger Mann. Er hat nicht viel in seinem
Oberstübchen, aber das ist gerade gut. Schöne Beine hat er.«
Carina
errötete und drehte ihren Kopf zur Seite.
»Ich habe
gesagt, daß seine Beine gut sind«, fuhr Lady Godolphin fröhlich fort. »Männer
mit dürren Beinen kann ich nicht ausstehen. Mr. Anstey ist zwar in dieser
Richtung auch nicht bestens ausstaffiert. Arthur hat wunderbare Beine, aber er
ist so alt.«
»Meinen Sie
Colonel Brian?« fragte Carina zaghaft.
»Ja, genau.
Ich habe ihm gesagt, daß ich nicht gefühllos sein will, aber daß wir
offensichtlich nicht füreinander geschaffen sind. Natürlich ...!«
Lady
Godolphins Augen traten beinahe aus ihren Höhlen, als sie aus dem Wagenfenster
blickte. Die Pferde verlangsamten gerade ihren Schritt, weil sie sich den
steilen Abhang von Highgate Hill hinauf arbeiteten. Carina lehnte sich nach
vorne, um zu sehen, was Lady Godolphins Aufmerksamkeit erregt hatte.
Vor einem
Gasthaus saßen Mr. Anstey und Lady Chester auf einer gemütlichen Holzbank in
der Sonne, die kaum etwas gegen die kalte Luft ausrichten konnte–die
achtzigjährige Lady Chester.
Lady
Godolphin lehnte sich schnell zurück und biß sich auf die Lippen. »Nein, ich
denke nicht daran, ihn zu fragen, was das soll«, sagte sie laut, obwohl sie
offensichtlich mit sich selbst sprach. »Es ist eine Zufallsbegegnung. Er hat
Mitleid mit der alten Schachtel, das ist alles.«
Sie
fächelte sich heftig Luft zu und war ein Bild des
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