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Carlotta steigt ein

Carlotta steigt ein

Titel: Carlotta steigt ein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Barnes
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für dich?»
    «Sie ist alles, was ich an
Familie habe.»
    Er schnitt eine Grimasse und
sagte: «Ich wünschte manchmal, ich hätte keine Familie.»
    Ich schlug Eiweiß und Zucker
schaumig und fügte zwei Tropfen grüne Lebensmittelfarbe für das letzte Blech
hinzu. Davon bekam die Masse einen Stich ins Gräuliche. Da meines Erachtens ein
weiteres Tröpfchen nicht schaden konnte, nahm ich die Flasche noch einmal. Ich
muß sie zu stark geschwenkt haben. Acht oder neun Tropfen von dem Zeug flössen
in den Schaum. Ich fragte mich, ob wohl jemand lodengrüne Schokoladenbaisers
essen würde.
    Die Stille fing an, unangenehm
zu werden, deshalb fragte ich Sam, wie er mit den übrigen Gianellis zurechtkam.
Die übliche Konversation. Es interessierte mich eigentlich gar nicht. Ich
wollte, daß er ging.
    «Teufel auch, ich sehe sie
nicht einmal, außer meiner Schwester.»
    «Ich wußte gar nicht, daß du
eine Schwester hast.»
    «Sie ist älter als ich, die
Älteste bis auf einen Bruder. Sie hat einen Außenseiter geheiratet.»
    «Einen Außenseiter?»
    «Keinen Italiener — keinen —»
Er fuchtelte mit den Armen herum, als spielte er eine Szene aus dem Film Der
Pate. «Keinen sizilianischen Gianelli-Italiener.» Er zwinkerte, brach seine
Vorführung ab und lächelte. Seine Zähne waren weiß und ebenmäßig.
    Ich rührte Schokoflocken in den
Teig, probierte, zog noch mehr darunter. «Deiner Familie gefiel das nicht?»
    «Soll das ein Witz sein? Es war
eine Todsünde. Der Kerl ist Ire, Gott bewahre. Arbeiterklasse. Und meine
Schwester hat ihn selbst ausgesucht, was die Sache noch verschlimmerte. Mein
Vater ging an die Decke. Er ist noch von der alten Schule. Ich nehme an, er
wollte seine einzige Tochter einem seiner treuesten Gefolgsleute als Belohnung
geben. Auf einem silbernen Tablett.»
    Ich verteilte kleine Häufchen
seltsam grünlichen, mit dunklen Schokoladenstücken gesprenkelten Teig auf dem
Backblech. Ich wußte nicht mehr, ob ich das Blech gefettet hatte oder nicht.
Ich hatte das verdammte Ding eine halbe Stunde schrubben müssen, nachdem ich es
unten in Roz’ Dunkelkammer wiedergefunden hatte, mit einer trüben Flüssigkeit
gefüllt. Ich hoffte nur inbrünstig, daß ich nun nicht die ganze fünfte Klasse
vergiftete.
    «Du meine Güte, sind die süß»,
sagte Sam.
    «Ißt du schon wieder eins?»
    «Weißt du», fuhr er fort, «an
dem Tag, an dem Gina Martin heiratete, kleidete sich meine Mutter in Schwarz.
Sie ging nicht zur Hochzeit, aber sie zog das schwarze Kleid an und spazierte
damit durch die Nordstadt, so daß jeder sehen konnte, wie sie trauerte. Hat
jahrelang kein Wort mit Gina gesprochen, bis Enkel kamen. Die sieht sie ab und
zu, aber sie spricht so gut wie nie mit Flaherty. Wenn sie anruft und er ist am
Telefon, legt sie den Hörer auf. Darum denke ich manchmal, du hast Glück, daß
du dir deine Familie selber aussuchst.»
    Mein Löffel blieb in der Luft
stehen und verkleckerte dicke Zähren Baiserteig.
    «Flaherty», wiederholte ich,
«doch nicht—»
    «Erzähl bloß nichts in der
Firma, hörst du?» sagte Sam und näherte sich mir von hinten. Er legte mir die
Arme um den Brustkorb. Ich konnte seinen Atem auf meinem Nacken spüren, seine
glattrasierte Wange an meiner. «Der Fahrer, von dem du mal gesprochen hast —
Flaherty — , das ist Ginas Sohn.»
    O Gott. Kein Wunder, daß er bei
der Taxifirma keinen falschen Namen angeben konnte.
    «John hat ihr nur Ärger
gemacht», fügte Sam hinzu, «und da hat sie mich gebeten, ihm Arbeit zu geben,
damit vielleicht alles wieder in Ordnung käme. Er selbst wollte im Grunde nur
in — na ja, in Vaters Geschäft einsteigen. Und das wäre Ginas Tod. Sie hat sich
von dem Verein ferngehalten und ein recht anständiges Leben geführt. Aber ich
weiß nicht. John scheint das Taxifahren nicht besonders zu mögen. Ich glaube,
mich auch nicht.»
    Er liebkoste meinen Nacken und
drehte mich herum. Mein Gesicht fühlte sich wie Eis an.
    «He.» Sam hob mein Kinn mit dem
Zeigefinger an und zwang mich, ihm in die Augen zu sehen. «John hat dich doch
nicht angemacht, oder?»
    Ich küßte ihn, um ihn zum
Schweigen zu bringen. Der Kuß nahm kein Ende. Er griff mir in die Haare und
drückte mich gegen die Anrichte. Schokoflockenmasse kleckste auf meine weiße
Hose. Ich atmete zu schwer, um mich darüber aufzuregen.
    Ich weiß noch gut, was ich über
Mata Hari gesagt habe. Aber was jetzt kam, war nicht kaltblütig und auch nicht
geplant. Zu einem Teil war es die Erleichterung.

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