Caroline
wenig gesenkt, weil sie abgelenkt worden war, doch ich hatte keine Chance, die Lage auszunutzen.
»Caroline hatte mehr Talent in ihrem kleinen Finger als du in deinem ganzen hohlen Zickenkopf«, sagte ich. »Und du wirst wegen Mordes ins Gefängnis wandern.« Ich rollte meinen Stuhl zurück.
»Dass ich nicht lache.«
Der Mord interessierte sie gar nicht. Sie hatte nur Angst wegen des Buches, ihr Buch, ohne das sie keine berühmte Schriftstellerin war. Sie war verrückt. »Eine Sicherheitskopie liegt beim Staatsanwalt«, sagte ich und wies mit einem Kopfnicken auf die Tasche, in die sie die Diskette gesteckt hatte.
Sie hob die Pistole und ich sah, dass sie schießen würde. Ich stieß mich ab und ließ mich mitsamt dem Bürostuhl zur Seite fallen. Etwas streifte meinen Oberarm, ich hörte einen Knall und dann lag ich auf dem Fliesenfußboden. Ihre Absätze kamen klickend um meinen Schreibtisch herum. Ich trat den Stuhl nach ihr und kroch tiefer in das geschlossene Rechteck unter der Arbeitsplatte.
»Scheißkerl!«, brüllte sie. Ich sah ihre Hand mit der Pistole und das Glitzern ihrer Augen, die ihr Ziel suchten. Ich schwang die Beine herum, um sie umzustoßen, und dann hörte ich aus der Mikrowelle drei hohe Pieptöne und einen Knall. Hettys Pistole und ihre Augen verschwanden aus meinem Blickfeld, als sie sich mit einem Schmerzensschrei aufrichtete.
CyberNel feuerte nochmals aus ihrer lächerlichen Jennings.
Ich arbeitete mich unter dem Schreibtisch hervor und Hetty Larue fiel auf mich. Ihre Pistole landete klappernd auf den Fliesen. An meinen Händen klebte Blut, die Larue röchelte und stöhnte.
Nel zog sie von mir herunter und schmiss sie gegen die Glasscheibe. Nel sah einfach süß aus in ihrem langen Wollpullover, der über ihr Bäuchlein und ihre Hüften auf ihren schwarzen Rock fiel. Sie trug die goldene Kette mit dem Herzanhänger, die ich ihr geschenkt hatte, und sie ließ ihr hellbraunes Haar noch immer wachsen. Es fiel ihr inzwischen bis auf die Schultern und oft band sie es mit einem schwarzen Haargummi zusammen, so wie jetzt, und manchmal auch mit einem fuchsiafarbenen, wenn sie in verwegener Stimmung war. Sie ließ ihre Jennings auf den Schreibtisch fallen und sagte missmutig: »Ich habe ihren Kopf verfehlt und ein Herz konnte ich nicht finden.«
Meine Cornelia.
Ich wählte die Notrufnummer, deutete mit dem Kinn auf ihre Pistole und sagte: »Ich hoffe, du hast inzwischen einen Waffenschein, sonst kriegen wir eine Menge Ärger.«
Der Aufruhr rund um Ein kleines Geschenk wurde automatisch von Bombenanschlägen in Israel, Unruhen in Mazedonien, Prozessen in Den Haag, Streiks überall sonst sowie den üblichen Nachrichten über Nebenwirkungen von Medikamenten, die Globalisierung und Überfälle auf milliardenschwere Geldtransporte in den Hintergrund gedrängt. Bereits nach einem Monat interessierte es praktisch niemanden mehr, dass die Larue von den Schadensersatzforderungen Sara Baswins und deren Herausgebern in die Pleite getrieben wurde. Die Chirurgen hatten die Kugeln aus Nels kleiner Pistole in ihrer Schulter und ihren Eingeweiden gefunden. Vor allem Letzteres war schmerzhaft und die Larue war noch mit Schmerzmitteln voll gepumpt, als man sie vom Krankenhaus aus in die Untersuchungshaft brachte.
Niemand behandelte sie freundlich. Sie gestand den Mord an Caroline und bekam achtzehn Jahre und zwölf Monate. Die zwölf Monate waren die Höchststrafe für das zweifache Plagiat. Man kam zu dem Schluss, dass Hein Drisman nichts von dem Mord gewusst hatte und auch an dem Plagiatsdelikt nicht beteiligt gewesen war. Er kam ungeschoren davon, verlor allerdings seine ergiebigste Einnahmequelle. Ich sagte nichts, schickte ihm aber die Handwerker- und die Computerrechnung. Drisman reagierte nicht, doch ich erhielt eine Woche später einen Umschlag ohne Absender mit Den Haager Poststempel. Darin befand sich ein Betrag in bar, der mit der Summe der Rechnungen übereinstimmte.
Schließlich erschien im Frühjahr bei Mirabel die Originalversion von Carolines Buch, auf dem Umschlag Nels Foto von dem hässlichen Entlein. Doch plötzlich fand sie keiner mehr hässlich. Valerie hatte Katrien van Dop als Literaturagentin angestellt und CyberNel verdiente ein kleines Vermögen mit dem einzig existierenden Foto der Schriftstellerin, das ebenso wie das Buch um die ganze Welt ging. Da die Autorin selbst ihrem Manuskript noch keinen Titel gegeben hatte, erklärte sich Valerie mit Katriens Vorschlag einverstanden, es
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