Caroline
niemand wusste, dass sie ein Buch geschrieben hatte. Sie versprach, das Manuskript zu lesen und Kontakt mit ihr aufzunehmen. Das tat sie noch in derselben Woche. Wahrscheinlich hat sie Caroline gesagt, dass noch das ein oder andere an dem Buch geändert werden müsse und Caroline bei ihr wohnen könne, um gemeinsam das Manuskript zu überarbeiten. Sie sollte niemandem etwas verraten, damit es eine echte Überraschung würde.«
»Das klingt alles so, als wäre es meine Schuld«, sagte Valerie.
»Du warst nicht da«, sagte ich.
»Die Winterkollektionen …« Valerie starrte mich mit leeren Augen an. Eines Tages würde sie ihrer Schuldgefühle überdrüssig werden, sie tief in ihrer Seele begraben und einen neuen Anfang machen.
Ich trank einen kleinen Schluck von dem Cognac und dachte bei mir, dass die Umstände es Hetty Larue wirklich sehr leicht gemacht hatten. Caroline war von ihrem Pflegevater im Stich gelassen worden, fühlte sich von ihrer Mutter verraten. Sie hatte niemanden und hätte sich vermutlich nichts mehr gewünscht, als die ganze Welt mit einer großen Überraschung zu verblüffen.
»Hetty Larue kam sie am nächsten Montagmorgen abholen. Caroline sollte alles mitnehmen, was mit ihrem Buch zu tun hatte, auch ihren Computer. Im Kamin ihres Dachstudios liegen verbrannte Reste, unter anderem von dem grauen Notizbuch, in das sie in Porquerolles ununterbrochen hineingeschrieben hat.«
»Wo wohnt diese Frau?«
»Ganz in der Nähe, in Eemnes. Du hast anscheinend in den letzten Tagen weder ferngesehen noch Zeitungen gelesen.«
»Wieso?«
»Gleich. Hetty wusste genau, was sie tat. Sie nahm sich zwei Wochen Urlaub. Sie hat die Putzfrau weggeschickt und gesagt, sie solle erst am Freitag wiederkommen. Doch die Putzfrau war noch da, als Hetty gegen zwölf Uhr nach Hause kam, und sie hat Caroline im Auto sitzen sehen. Sie ist eine unserer Zeuginnen. Ich glaube, dass Caroline an diesem Tag bei ihr übernachtet hat, vielleicht auch noch am Dienstag, aber Hetty hatte schon alles durchgeplant. Caroline ist einfach in die Falle getappt. Hetty ließ Caroline die Postkarte schreiben, und sobald sie sicher war, dass niemand von dem Buch wusste, hat sie Caroline ermordet, um es unter ihrem eigenen Namen publizieren zu können.«
»Wie?«
Eines Tages würde sie es ja doch erfahren. »Sie hat ihr ein Schlafmittel verabreicht, das sie bewusstlos machte, sie in einen Teppich eingerollt und nachts mit dem Auto in einen kleinen Hafen ganz in der Nähe gebracht. Dort hat sie eine Motorjacht liegen. Sie brauchte nur ein Stück auf das Eemmeer hinauszufahren.«
Valerie gab sich größte Mühe, sich zu beherrschen, doch die Tränen traten ihr in die Augen und sie machte keinen Versuch, ihre Wangen zu trocknen. Ich reichte ihr über den Tisch hinweg mein sauberes Taschentuch.
»Ist Hetty diese Frau, auf die du bei der Beerdigung angespielt hast?«, fragte sie nach einer Weile.
»Ja.«
»Woher wusstest du das?«
»Nel hat zufällig dieses Buch gelesen.« Ich wies mit einem Nicken auf Ein kleines Geschenk, das Valerie noch immer in der Hand hielt. »Und sie hat es sofort als Carolines Werk erkannt.« Ich sah, dass Valerie mich nicht verstand, und erklärte es ihr: »Ein Ermittler kommt darin vor, auf Seite 124. Caroline hat mich für die Figur zum Vorbild genommen. Es war eine Art Scherz. Auf Porquerolles hat sie Nel die Charakterisierung der Figur vorgelesen, und sie steht wortwörtlich so in diesem Buch. Wir wussten gar nicht, dass Caroline an einem Roman arbeitete, sie sagte, es sei einfach nur so eine Geschichte.«
Valerie legte mein Taschentuch auf den Tisch und blätterte das Buch geistesabwesend durch. Sie steckte einen Finger zwischen die Seiten, ohne wirklich nach der Passage gesucht zu haben. Sie starrte den Wohnzimmertisch und die Cognacflasche an. »Das ist nicht viel, um sich darauf zu berufen.«
»Stimmt, aber wir haben noch mehr. Die Empfangsdame des Verlags hat Caroline anhand eines Fotos wiedererkannt und wir haben die Putzfrau. Außerdem verfügen wir über das Original von Carolines Buch. Es hatte noch keinen Titel, es stand nur Buch darüber, und die Figuren tragen alle andere Namen. Die Hauptperson heißt zum Beispiel Tilly und nicht Germaine.«
Valerie schaute auf. »Dieses Mädchen, das sie letztes Jahr aus der Schule mitbrachte, hieß Tilly. Vielleicht war sie ihre einzige Freundin.«
Hinweise, mehr nicht. Doch davon gab es dutzende. »Du wirst noch viele andere Dinge wiedererkennen«, sagte ich.
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