Caroline
binden würde, würde es seinen Wert verlieren.«
Jetzt schwieg er eine Weile und ich vermutete, dass er über das Wort ›Wert‹ nachgrübelte. Ich hörte, wie er die Sprechmuschel abdeckte. Ich schaute Nel an und lächelte. Hinter ihr lag das Winterlicht bleiern auf den Ligustersträuchern und den kahlen Ästen ihres Apfelbaums. Offenbar stand die Larue kurz vor einem Nervenzusammenbruch, doch Drisman behielt einen klaren Kopf und kam zu dem Schluss, dass Zuhören besser war als den Kopf in den Sand zu stecken. Er war ein Literaturagent, kein Idiot. Anfangs hatte er vielleicht gehofft, dass sich der Schaden auf Traum eines Mädchens beschränken würde, doch inzwischen wusste er, dass auch mit Ein kleines Geschenk etwas faul war.
Die Larue musste inzwischen begriffen haben, dass Caroline doch eine Sicherheitskopie von dem Manuskript gemacht hatte und dass diese sich in meinem Besitz befand. Sie war schlau genug, um zu wissen, dass man ihr den Mord an Caroline kaum nachweisen konnte, und sie brauchte Drisman nur irgendein Lügenmärchen über die Kopie aufzutischen. Drisman hatte bereits einen Versuch unternommen, das Problem zu lösen, in erster Linie in seinem eigenen Interesse. Nel hatte seine Agentur überprüft. Er vertrat einige weniger bekannte Autoren und hatte sich erst mit Hedwige Larue einen Namen gemacht. An Ein kleines Geschenk hatte er bereits einen ordentlichen Batzen Geld verdient. Wenn ihm niemand Sand ins Getriebe streute, würde es noch mehr werden, dank hoher Verkaufszahlen, dem Verkauf der Übersetzungsrechte und sogar den Plänen für eine Verfilmung.
Ich hörte, wie Drisman die Hand wegnahm. »Mevrouw Larue ist bereit Sie anzuhören, wenn das hilft, Licht in die Sache zu bringen«, sagte er vorsichtig.
»Schön. Wo? Ihr Haus wird von der Polizei oder den Presseleuten beobachtet und bestimmt möchte sie lieber nicht, dass ich dort gesehen werde.«
»Haben Sie einen Vorschlag?«
»Ich überlasse das Ihnen, jedes ruhige Fleckchen ist mir recht.«
Wieder wurde die Sprechmuschel abgedeckt, doch ich hörte durch Drismans Finger hindurch eine zeternde Frauenstimme. Nach einer Weile meldete er sich wieder. »Meine Klientin möchte nach näherer Überlegung doch lieber davon absehen«, sagte er frustriert. »Es tut mir sehr leid.«
Er unterbrach die Verbindung.
»Mist!«, sagte ich.
Nel nahm den Kopfhörer ab. »Das hörte sich gar nicht gut an«, sagte sie. »Als wäre sie verzweifelt und wüsste nicht mehr aus noch ein. Sie verdrängt es, es ist ein Abwehrmechanismus, sie rollt sich ein, stellt die Stacheln auf und hofft, dass der ganze Schlamassel irgendwann vorübergeht.«
Ich dachte nach. »Ich glaube, sie weiß nur zu genau, dass die echte Gefahr von ihrem ersten Buch ausgeht. Bei ihrem zweiten Plagiat kann sie die Folgen mithilfe guter Anwälte auf Bußgelder und vielleicht ein paar Monate Gefängnis beschränken.«
»Aber sie verliert ihren guten Namen«, gab Nel zu bedenken.
Ich schüttelte den Kopf. »Sie tut Traum eines Mädchens als ärgerlichen Irrtum ab. Damit kann sie leben, solange sie Autorin des ersten Buches bleibt. In ihrem wirren Geist ist sie das noch immer. Sie ist berühmt. Treibt man sie mit Ein kleines Geschenk in die Enge, ist sie womöglich zu einer Verzweiflungstat fähig.«
Nel biss sich auf die Lippen. »Du meinst, wir sollten vorsichtig mit ihr umgehen? Am Ende tut sie den Richtern noch Leid. Dann ziehen sie einen psychiatrischen Gutachter hinzu und sie wird in eine Luxuseinrichtung gesteckt, weil sie nicht wusste, was sie tat? Die wusste genau, was sie tat. Es war vorsätzlicher Mord und ich will, dass dieses Weib für den Rest ihres Lebens hinter schwedischen Gardinen landet.«
Nel war rachsüchtiger als das Strafgesetzbuch. »Es wird schon alles gut gehen«, beruhigte ich sie.
»Aber nicht, wenn wir sie einfach in Ruhe lassen.«
»Gleich klingelt wieder das Telefon«, sagte ich voller Überzeugung. »Drisman bringt seine Schriftstellerin ins Bett und will anschließend mit uns reden.«
Doch niemand rief zurück, außer Eddy, der eine Weile mit Nel über ihr neues Unternehmen sprach und danach per E-Mail einige Dokumente schickte. Nel fing gleich an zu lesen und ich schlenderte zurück zu unserem Haus, um den Kamin für einen gemütlichen Abend anzufachen und in der Tiefkühltruhe nachzuschauen, was ich an Essbarem auftauen konnte. Es wurde allmählich dunkel und ich schaltete das Licht ein.
Ich war gerade in der Küche dabei, zwei gefrorene
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