Carre, John le
gesehen?«
»Ja. Kam vor einer Stunde herein:
Die Amerikaner haben eine Peilung. Vierergruppen, primitiver Buchstaben-Kode.
Sie sagen, es komme aus der Gegend von Kalkstadt.«
»Wo, zum Teufel, ist das wieder?«
»Südlich von Rostock. Die Meldung
lief sechs Minuten auf derselben Frequenz. Sie sagten, es habe geklungen wie
der erste Versuch eines Amateurs. Es müsse eines der alten Geräte aus dem Krieg
sein. Sie wollten wissen, ob es eines von den unseren war.«
»Und Ihre Antwort?« fragte Control
schnell. »Ich sagte nein.«
»Das
möchte ich hoffen. Guter Gott.«
»Es
scheint Ihnen nicht viel auszumachen«, sagte Smiley. Control schien sich an
etwas weit Zurückliegendes zu erinnern. »Ich höre, daß Leclerc in Lübeck ist.
Also, das ist wirklich ein hübsches Städtchen. Ich schwärme für Lübeck. Das
Ministerium wollte Sie sofort sprechen. Ich sagte, Sie würden hinkommen. Es
ist irgendeine Besprechung.« Und mit großem Ernst fügte er hinzu: »Sie müssen,
George! Wir waren die größten Dummköpfe. In jeder ostdeutschen Zeitung steht's
schon. Sie regen sich mächtig wegen Friedenskonferenzen und Sabotage auf.« Er
klopfte auf eines der Telefone. »Und das Ministerium ebenfalls. Gott, wie
verabscheue ich diese Beamten.« Smiley beobachtete ihn voller Skepsis. »Wir
hätten sie ja bremsen können. Genug gewußt haben wir.«
»Natürlich
hätten wir können«, sagte Control sanft. »Wissen Sie, weshalb wir nicht haben?
Pure, idiotische christliche Nächstenliebe. Wir wollten ihnen ihr Kriegsspiel
nicht verderben. Aber jetzt gehen Sie lieber. - Und, Smiley...«
»Ja?«
»Seien Sie
liebenswürdig.« Und mit seiner einfältigen Stimme setzte er hinzu: »Um Lübeck
beneide ich die Leute trotz allem sehr. Gibt's da nicht dieses Restaurant -
wie heißt es doch? Der Platz, wo Thomas Mann immer aß. Es ist so interessant!«
»Er hat
nie dort gegessen«, sagte Smiley. »Das Lokal, das Sie meinen, ist im Krieg
zerbombt worden.« Er ging noch immer nicht. »Ich frage mich«, sagte er. »Sie
werden es mir niemals verraten, nicht wahr? Ich frage mich nur.« Er sah Control
nicht an. »Mein lieber George, was ist denn jetzt über Sie gekommen?«
»Wir haben
diese Leute doch hineingejagt. Der Paß, der dann eingezogen wurde. die Hilfe
unseres Kurierdienstes, die sie nie gebraucht haben. ein ausrangiertes
Funkgerät. falsche Papiere, Berichte über die Grenze. wer hat Berlin
aufgefordert, den Abhördienst auf ihn anzusetzen? Wer hat ihnen die Frequenzen
durchgesagt? Wir haben Leclerc sogar die Kristalle gegeben, oder nicht? War das
auch christliche Nächstenliebe? Pure, idiotische christliche Nächstenliebe?«
Control war schockiert.
»Was wollen Sie damit bitte
andeuten? Nein, wie abscheulich! Wer könnte so etwas jemals tun!« Smiley zog
seinen Mantel an.
»Gute
Nacht, George«, sagte Control. Und bitter, als sei er der Feinfühligkeit
überdrüssig, setzte er hinzu: »Nun gehen Sie schon. Und behalten Sie unsere
Auseinandersetzung für sich. Ihr Land braucht Sie. Es ist nicht mein Fehler,
daß diese Leute so lange gebraucht haben, sich den Hals zu brechen.« Die
Dämmerung kam bereits, und Leiser hatte immer noch kein Auge zugetan. Er wäre
gerne zur Toilette gegangen, aber er wagte sich nicht auf den Korridor. Er
wagte nicht, sich zu bewegen. Wenn man schon nach ihm suchte, mußte er ganz
normal gehen und nicht vor Anbruch des Morgens aus der Herberge stürzen.
Niemals rennen, hatte es immer geheißen: gehe, wie die Menge geht. Um sechs
konnte er aufbrechen: das war spät genug. Er rieb sich mit dem Handrücken das
Kinn. Es war rauh und stachelig und hinterließ Kratzer auf der braunen Haut
seiner Hand. Er war hungrig und wußte nicht mehr, was er tun sollte, aber
davonlaufen würde er nicht. Er drehte sich im Bett um, zog aus dem Bund seiner
Hose das Messer und hielt es sich vor die Augen. Ein Schauer überlief ihn. Auf
seiner Stirn fühlte er eine unnatürliche Fieberhitze. Er betrachtete das Messer
und dachte an die reine, freundliche Art, in der man darüber geredet hatte:
Daumen oben, Klinge parallel zum Boden, Unterarm steif. »Gehen Sie weg«, hatte
der alte Mann gesagt, »Sie sind entweder gut oder böse, und beides ist
gefährlich.« Wie hatte er das Messer zu halten, wenn die Leute in dieser Art
mit ihm sprachen? So, wie bei dem Jungen? Dann war es sechs. Er stand auf.
Seine Beine waren schwer und steif. Seine Schultern schmerzten immer noch von
der Last des Rucksacks. Seine Kleider rochen nach
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