Carre, John le
Neues anpacken.«
»Ja,
sicherlich. Ich würde gerne fahren, wenn Sie mir soviel Vertrauen schenken.«
Leclerc
genoß diese Situation. Nun drückte er Avery ein Blatt blauen Konzeptpapiers in
die Hand. Es war mit Leclercs kindlichen runden Schriftzügen bedeckt. Auf den
Kopf des Blattes hatte er >Ephemer< geschrieben und das Wort
unterstrichen. Am linken Rand standen seine Initialen - alle vier - und
darunter die Bezeichnung >Nicht geheim<. Wieder begann Avery zu lesen.
»Beim
sorgfältigen Lesen werden Sie merken«, sagte Leclerc, »daß wir nicht direkt
behaupten, Sie seien wirklich einer der nächsten Angehörigen. Wir zitieren nur
die Angaben aus Taylors Paßantrag. Weiter wollen die Leute vom Auswärtigen Amt
nicht gehen. Sie haben sich bereit erklärt, dies via Helsinki ans dortige
Konsulat zu schicken.«
Avery las:
»Auf Anforderung der Konsularabteilung. Ihr Fernschreiben in Sachen Malherbe.
John Somerton Avery, Inhaber des britischen Passes No , Halbbruder des
Verstorbenen, wird in Malherbes Paßantrag als nächster Angehöriger angegeben.
In Kenntnis gesetzt, schlägt Avery heute Flugreise zur Übernahme von Leiche und
persönlichem Besitz vor. NAS-Flug 201 über Hamburg, Ankunft mit ETA um 18.20
Uhr Ortszeit. Bitte leisten Sie übliche Unterstützung und Hilfe.«
Leclerc
sagte: »Ich wußte Ihre Paßnummer nicht. - Die Maschine geht heute nachmittag um
drei. Es ist ein sehr kleiner Ort. Ich könnte mir denken, daß der Konsul Sie am
Flughafen abholen wird. Aus Hamburg kommt jeden zweiten Tag eine Maschine an.
Wenn Sie nicht nach Helsinki müssen, könnten Sie mit derselben Maschine
zurückfliegen.«
»Könnte
ich nicht sein Bruder sein?« fragte Avery lahm. »Halbbruder sieht ein bißchen
faul aus.«
»Wir haben
keine Zeit, einen neuen Paß aufzutakeln. Im A.A. sind sie mit Pässen ungeheuer
geizig. Schon wegen Taylor gab's eine Menge Schwierigkeiten.« Er hatte sich
schon wieder seinen Akten zugewandt. »Wirklich eine Menge Schwierigkeiten. Wir
müßten Sie ja auch Malherbe nennen, nicht wahr? Ich glaube nicht, daß man das
dort gerne sehen würde.« Er sprach unaufmerksam, fast automatisch. Es war sehr
kalt im Raum.
»Und was
ist mit unserem skandinavischen Freund?« fragte Avery. Leclerc sah ihn
verständnislos an. »Lansen. Sollte nicht jemand Verbindung mit ihm aufnehmen?«
»Ich
kümmere mich schon darum.« Leclerc, der Fragen haßte, antwortete vorsichtig,
als habe er Angst, irgendwo einmal zitiert zu werden. »Und Taylors Frau?« Es
erschien ihm zu pedantisch, sie Witwe zu nennen. »Kümmern Sie sich um sie?«
»Ich hatte
vor, daß wir morgen als erstes bei ihr vorbeischauen. Sie hat kein Telefon,
und ein Telegramm wäre so geheimniskrämerisch.«
»Wir?«
fragte Avery. »Müssen wir denn beide gehen?«
»Sie sind
mein Assistent, nicht wahr?« sagte Leclerc. Diese Stille! Avery sehnte sich
nach dem Geräusch des Straßenverkehrs und dem Schrillen der Telefone. Tagsüber
war man immer von Leuten umgeben, Boten kamen und gingen, und die Aktenwagen
klapperten über den Gang. Immer wenn er mit Leclerc allein war, hatte er das
Gefühl, es fehle eine dritte Person. Niemand anderer brachte ihm sein eigenes
Auftreten so zum Bewußtsein, niemand anderer strahlte eine derart lähmende
Wirkung auf das Gespräch aus. Er wünschte, Leclerc würde ihm noch etwas zu
lesen geben.
»Haben Sie
schon irgendwas über Taylors Frau gehört?« fragte Leclerc. »Ist sie
vertrauenswürdig?« Als er sah, daß Avery ihn nicht verstand, fuhr er fort: »Sie
könnte uns die größten Schwierigkeiten machen. Wenn sie wollte. Wir müssen sehr
vorsichtig vorgehen.«
»Was werden
Sie ihr sagen?«
»Wir
müssen ganz nach dem Gefühl gehen. Wie wir es im Krieg gemacht haben. Sie wird
nichts wissen, verstehen Sie? Sie wird nicht einmal wissen, daß er im Ausland
war.«
»Er könnte es ihr doch erzählt
haben.«
»Nicht Taylor. Er ist ein alter
Hase. Er hatte seine Instruktionen und kannte die Spielregeln. Sie muß eine
Pension bekommen. Das ist die Hauptsache. Er ist im aktiven Einsatz gefallen.«
Er machte
wieder eine knappe, abschließende Handbewegung.
»Und unser
Stab? Was werden Sie hier im Hause sagen?«
»Ich werde
heute vormittag die Abteilungsleiter zu einer Besprechung zusammenrufen. Was
die anderen anbelangt: denen werden wir sagen, es sei ein Unfall gewesen.«
»Vielleicht
war's das wirklich«, gab Avery zu bedenken.
Leclerc
lächelte wieder: ein starres, schmerzliches Lächeln. »In welchem Fall wir
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