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Carre, John le

Carre, John le

Titel: Carre, John le Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krieg im Spiegel (Smiley Bd 4)
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beschlagnahmt. Vielleicht ist der Film darunter. Es ist ein
kleiner Ort, und ich stelle mir vor, daß sie die gesetzlichen Vorschriften
lieber genau beachten.« Und beiläufig, so daß Avery wußte, wie wichtig es war:
»Das Auswärtige Amt befürchtet Schwierigkeiten.«
    »Ach
Gott«, sagte Avery automatisch. Es war in der Organisation üblich, derartige
Reaktionen zu zeigen; man trat altmodisch und möglichst kühl auf. Leclerc sah
ihn an. Jetzt zeigte er Interesse: »Vor einer halben Stunde hat der
diensttuende Beamte des Auswärtigen Amtes mit dem Vertreter des Ministers
gesprochen. Sie lehnen es ab, sich einzumischen. Sie sagen, wir seien ein
Geheimdienst und müßten es auf unsere Art erledigen. Am liebsten hätten sie es,
wenn irgend jemand von uns als nächster Angehöriger hinführe, um die Leiche
und die persönlichen Habseligkeiten abzuholen. Ich möchte, daß Sie fahren.«
Plötzlich bemerkte Avery an den Zimmerwänden die Bilder der Jungen, die im
Krieg gekämpft hatten. Jeweils sechs hingen rechts und links neben dem ziemlich
staubigen Modell eines schwarzlackierten Wellington-Bombers, der keine
Kennzeichen trug. Die meisten Aufnahmen waren im Freien gemacht worden. Avery
erkannte die Hangars im Hintergrund und die von den lächelnden jungen
Gesichtern halbverdeckten Rümpfe der abgestellten Flugzeuge. Unter jedem Foto
standen inzwischen vergilbte Unterschriften. Einige waren schwungvoll und
zügig, während andere - wohl die der ranghöheren Offiziere - kunstvoll
verschnörkelt wirkten, als seien die Schreiber über Nacht plötzlich berühmt
geworden. Es standen keine Nachnamen da, sondern Spitznamen aus Kinderzeitschriften:
Jacko, Shorty, Pip und Lucky Joe. Gemeinsam war allen nur die Schwimmweste, das
lange Haar und das sonnige, jungenhafte Grinsen. Sie schienen am
Fotografiertwerden Spaß gehabt zu haben, als sei ihr Zusammensein ein
womöglich nie mehr wiederkehrender Anlaß zum Lachen und Fröhlichsein. Die
Personen im Vordergrund hatten sich mit der Lässigkeit von Männern, die das
Kauern in Geschützkanzeln gewohnt sind, niedergehockt, während die hinter ihnen
Stehenden zwanglos die Arme um die Schultern des Nebenmannes gelegt hatten -
eine spontane Geste, deren Überzeugungskraft den Krieg oder das
Fotografiertwerden anscheinend nicht überleben kann.
    Ein
Gesicht wiederholte sich auf jedem Bild. Es war stets im Hintergrund - das
Gesicht eines schlanken Mannes mit strahlenden Augen, der einen Dufflecoat und
Kordhosen trug. Er war im Gegensatz zu den anderen ohne Schwimmweste und stand
etwas abseits, als gehöre er irgendwie nicht dazu. Er war kleiner als die anderen
und älter. Seine Gesichtszüge waren ausgeprägt: sie drückten eine
Entschlossenheit aus, die den anderen fehlte. Er hätte ihr Lehrer sein können.
Avery hatte einmal seine Unterschrift gesucht, um festzustellen, ob sie sich in
den neunzehn Jahren verändert habe, aber Leclerc hatte nicht unterschrieben.
Er sah seiner Fotografie noch immer ähnlich: das Kinn vielleicht eine Spur
härter, das Haar etwas gelichtet.
    »Aber das
wäre doch ein Einsatz«, sagte Avery unsicher.
    »Natürlich.
Wir sind ja eine im Einsatz stehende Organisation.« Ein leichtes Kopfnicken.
»Sie haben Anspruch auf Einsatzzulage. Alles, was Sie zu tun haben, ist
Taylors Zeug zu holen. Sie haben alles bis auf den Film zurückzubringen. Den
Film geben Sie in Helsinki bei einer bestimmten Adresse ab. Darüber werden
Sie getrennte Instruktionen erhalten. Dann kommen Sie zurück und können mir
bei Leiser helfen...«
    »Könnte
das nicht vom Rondell übernommen werden? Ich meine, könnten die das nicht
einfacher erledigen?«
    Dieses
Lächeln kam langsam. »Ich fürchte, dieser Vorschlag wäre wohl nicht ganz
passend. Das ist unsere Angelegenheit, John: das ganze Unternehmen fällt
allein in unsere Kompetenz. Es handelt sich um ein militärisches Ziel. Wir
würden uns vor unserer Verantwortung drücken, wenn wir das dem Rondell
überließen. Deren Gebiet ist die Politik. Dort erledigt man rein politische
Aufgaben.« Er strich sich mit seiner kleinen Hand in einer knappen,
selbstbewußten Geste über das Haar. »Es ist also unser Problem. In dieser
Beziehung ist das Ministerium ganz meiner Auffassung«
    - eine
seiner bevorzugten Wendungen. »Ich kann jemand anderen schicken, wenn Ihnen
das lieber ist. Woodford, oder einen unserer älteren Mitarbeiter. Ich dachte
aber, Sie würden es gerne machen. Es ist eine wichtige Aufgabe. Sie könnten
damit einmal ganz etwas

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