Carre, John le
arme,
noch so recht grüne Junge schnappte fast über vor Aufregung, als er entdeckte,
daß er im Bilde war: »Mein Gott«, entrüstete er sich im Schutze jener
Narrenfreiheit, wie sie manchmal junge Marineleutnants in der Offiziersmesse
genießen, »mein Gott, warum will denn niemand Westerbys
Rolle in dieser Sache würdigen? Wenn hier einer
das Risiko zu tragen hatte, dann war's Jerry Westerby. Er war die Speerspitze
gewesen. Oder etwa nicht? Ehrlich?« Nur daß er natürlich nicht den Namen
»Westerby« aussprach, auch nicht den Namen »Jerry«, allein schon deshalb nicht,
weil er sie nicht kannte; er bediente sich des Decknamens, der Jerry für die
Dauer seines Einsatzes zugeteilt worden war.
Peter
Guillam griff rettend ein. Guillam ist groß und drahtig und elegant, und
Novizen, die auf ihren ersten Einsatz warten, blicken gern zu ihm auf, wie zu
einer griechischen Gottheit. »Westerby war der Stecken, der das Feuer schürte«,
erklärte er brüsk und beendete damit das Schweigen. »Jeder Außenmann hätte es
genausogut getan, mancher sogar verdammt viel besser.« Als der Junge noch immer
nicht kapierte, stand der sehr blaß gewordene Guillam auf, ging zu ihm hinüber
und schnauzte ihm ins Ohr, er solle sich noch einen Drink holen, wenn er ihn
vertragen könne, und danach ein paar Tage oder besser ein paar Wochen lang die
Klappe halten. Worauf das Gespräch sich wiederum dem lieben - alten George
Smiley zuwandte, dem gewiß letzten der wahrhaft Großen,
und was er wohl jetzt, da er wieder in den Ruhestand zurückgekehrt war, mit
sich anfangen mochte? Er hatte so viele Leben gelebt; so vieles am stillen Herd
zu überdenken, meinten sie einhellig.
»George
hat fünfmal soviel geleistet wie wir«, erklärte jemand ritterlich - eine Frau.
Zehnmal,
fanden sie alle. Zwanzigmal! Fünfzigmal! Über
diesem massiven Lob geriet Westerbys Schatten in gnädige Vergessenheit. Und in
gewissem Sinn auch George Smileys Schatten. Schließlich hatte George ein
erfülltes Leben gehabt, sagten sie. Was konnte man in seinem Alter noch
erwarten?
Vielleicht
ist es realistischer, als Ausgangspunkt einen Sonnabend in der Mitte des Jahres
1974 anzunehmen, als ein Taifun über Hongkong hinwegfegte und die Stadt gegen
drei Uhr nachmittags wie ausgestorben dalag und auf den nächsten Sturmangriff
wartete. In der Bar des Auslandskorrespondenten-Clubs lungerten eine Handvoll
Journalisten, in der Mehrzahl aus ehemaliger britischen Kolonien - Australien,
Kanada, Amerika -, herum, alberten und tranken in einer Art aggressiver
Untätigkeit: eine Truppe ohne Hauptdarsteller. Dreizehn Stockwerke unter ihnen
schoben sich die alten Straßenbahnen und Doppeldeckerbusse durch die
schmutzigbraunen Ausdünstungen der Häuser und den Ruß der Fabriken von Kaulun.
Die winzigen Teiche vor den hochaufragenden Hotels wurden vom langsamen,
penetranten Regen punktiert. Und in »Herren«, von wo aus man den schönsten Blick
über den Hafen hatte, tauchte der junge Kalifornier Luke das Gesicht ins Becken
und wusch sich das Blut vom Mund. Luke war ein eigenwilliger,
hochaufgeschossener Tennisspieler, ein Greis von siebenundzwanzig Jahren, der
bis zum Abzug der Amerikaner das beste Pferd im Saigoner Stall der
Kriegsberichterstatter seiner Zeitschrift gewesen war. Wer ihn als
Tennisspieler kannte, konnte sich kaum vorstellen, daß er auch noch etwas
anderes tat, und wäre es nur trinken. Man sah ihn am Netz, wie er unbeirrbar
alles, was da kommen mochte, zum Teufel schmetterte; oder zwischen
Doppelfehlern Asse servierte. Während er saugte und spuckte, war sein Denken durch
Alkohol und eine gelinde Gehirnerschütterung in mehrere luzide Teile gespalten.
Der eine Teil beschäftigte sich mit einer Barmaid in Wanchai namens Ella, der
zuliebe er dem neuseeländischen Polizisten einen Kinnhaken versetzt und die
unvermeidlichen Folgen erlitten hatte: mit einem Minimum an Kraftaufwand hatte
ihn Superintendent Rockhurst, alias der Rocker, der sich jetzt in einer Ecke
der Bar von seinem Tun ausruhte, auf die Bretter geschickt und ihm einen
herzhaften Tritt in die Rippen verpaßt. Ein weiterer Teil von Lukes Denken
beschäftigte sich mit einem Ausspruch seines chinesischen Hauswirts, der sich
an diesem Morgen wegen des Grammophonlärms bei ihm beschwert hatte und auf ein
Bierchen geblieben war.
Irgendein
Knüller, soviel stand fest, aber was für einer? Er erbrach sich nochmals, dann
linste er aus dem Fenster. Die Dschunken waren hinter den Schutzmauern vertäut,
und die
Weitere Kostenlose Bücher