Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Carre, John le

Carre, John le

Titel: Carre, John le Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eine Art Held (Smiley Bd 6)
Vom Netzwerk:
Star Ferry hatte den Betrieb eingestellt. Eine altgediente britische
Fregatte dümpelte vor Anker und im Club ging das Gerücht, Whitehall wolle sie
verkaufen.
    »Sollte in
See stechen«, brabbelte Luke wirr, denn er entsann sich einigen Seemannsgarns,
das er auf seinen Reisen aufgeschnappt hatte. »Fregatten stechen auch bei
Taifun in See. Yes Sir.« Die Hügel waren schiefergrau unter den schwarzen
Wolkenschichten. Vor einem halben Jahr hätte Luke bei diesem Anblick vor Wonne
geschnurrt. Den Hafen, das Getöse, sogar die Hochhausschuppen, die vom Strand
bis zum Peak, zur Hügelspitze, hinaufklommen: nach Saigon hatte er die ganze
Szenerie jubelnd begrüßt. Aber heute sah er nur noch einen satten, reichen,
britischen Felsen in den Händen einiger feister Krämer, die nicht über die
eigenen Wänste hinaussahen. Die Kolonie war daher für ihn genau das geworden,
was sie für die übrigen Journalisten längst war: ein Flugplatz, ein Telefon,
eine Wäscherei, ein Bett. Dann und wann - aber niemals für lange - eine Frau.
Sogar die Erfahrungen mußte man importieren. Und die Kriege, die so lange Zeit
hindurch seine Droge gewesen waren: sie waren von Hongkong genauso weit
entfernt wie von London oder New York. Nur die Börse reagierte andeutungsweise,
aber am Sonnabend war sie ohnehin geschlossen.
    »Meinst
du, du wirst's überleben, Goldjunge?« fragte der strubbelige kanadische Cowboy,
der an die Piß-Schüssel nebenan trat. Die beiden Männer hatten die Freuden der
Tet-Offensive geteilt.
    »Danke,
mein Lieber, ich bin in a usgesprochner Hochform«, erwiderte
Luke mit seinem übertriebensten englischen Akzent. Luke kam zu dem Schluß, daß
er sich unbedingt an das erinnern müsse, was Jake Chiu am Vormittag beim Bier
zu ihm gesagt hatte, und plötzlich fiel es ihm wie ein Geschenk des Himmels
wieder ein.
    »Ich
hab's«, schrie er. »Herrgott, Cowboy, ich weiß es wieder! Luke, du weißt es
wieder! Mein Gehirn! Es funktioniert! Leute, alle mal herhören!«
    »Vergiß
es!« riet ihm der Cowboy. »Da draußen herrscht heute dicke Luft, Goldjunge. Was
es auch sein mag, vergiß es.« Aber Luke trat die für auf und rannte mit
ausgebreiteten Armen in die Bar.
    »Heh! Heh! Leute!«
    Niemand
wandte den Kopf. Luke formte die Hände zu einem Megaphon:
    »Hört zu,
ihr besoffenen Strolche, ich hab ne Neuigkeit. Zwei
Flaschen Whisky am Tag undn Gehirn wien Rasiermesser. Ist das nicht fabelhaft?
Wo is die Bimmel?«
    Da er
keine fand, griff er
sich ein Bierseidel und hämmerte damit gegen die Theke, daß das Bier
überschwappte. Auch dann geruhte nur der Zwerg, von ihm Notiz zu nehmen. »Na,
wo brennt's denn, Luide?« näselte der Zwerg mit seinem
Greenwich-Village-Akzent. »Hat Big Moo wiedermal den Schluckauf? Bricht mir das
Herz.«
    Big Moo
nannten sie im Clubjargon den Gouverneur, und der Zwerg war Lukes Bürochef. Ein
formloser, mürrischer Mensch mit wirrem Haar, das ihm in schwarzen Strähnen ins
Gesicht fiel, und der Angewohnheit, wie aus dem Nichts neben einem
aufzutauchen. Vor einem Jahr hatten ihn ein paar Franzosen, die man sonst hier
selten sieht, wegen einer beiläufigen Bemerkung über den Ursprung des
Vietnam-Fiaskos beinah umgebracht. Sie zerrten ihn zum Lift, brachen ihm den
Kiefer und mehrere Rippen, dann kippten sie ihn im Erdgeschoß wie ein lebloses
Bündel heraus und kehrten zu ihren Gläsern zurück. Kurz darauf wurde ihm eine
ähnliche Behandlung von Seiten der
Australier zuteil, als er eine absurde Äußerung betreffs ihrer militärischen
Rolle in diesem Krieg zum besten gab. Er behauptete, Canberra habe mit
Präsident Johnson vereinbart, daß die australischen Jungens in Vung Tau bleiben
sollten, einem wahren Picknickplätzchen, während die Amerikaner anderswo den
wirklichen Krieg führten. Im Gegensatz zu den Franzosen verschmähten die
Australier den Lift. Sie prügelten den Zwerg einfach an Ort und Stelle
windelweich, und als er zu Boden ging, bekam er noch eine Zugabe. Danach hatte
er begriffen, wann er den Leuten in Hongkong aus dem Weg gehen mußte. Zum
Beispiel bei lang anhaltendem Nebel. Oder wenn es nur vier Stunden am Tag
Wasser gab. Oder an einem Sonnabend während des Taifuns. Im übrigen war der
Club recht leer. Die Starkorrespondenten hielten sich aus Prestigegründen
ohnehin fern. Ein paar Geschäftsleute, die wegen der um die Pressemänner
herrschenden Atmosphäre kamen, ein paar Mädchen, die der Männer wegen kamen.
Eine Handvoll Fernseh-Kriegstouristen in imitierten Kampfanzügen.

Weitere Kostenlose Bücher