Carre, John le
schweigend zu. Schließlich lächelte er und stand auf.
»Wir
scheinen uns nicht ganz verstanden zu haben«, sagte er. »Ich schicke Sie
hinaus, um festzustellen, warum Fennan sich umgebracht hat, und Sie kommen
daher und sagen, daß er das nicht getan hat. Wir sind keine Polizisten,
Smiley.«
»Nein.
Manchmal möchte ich ganz gerne wissen, was wir sind.«
»Haben Sie
irgend etwas erfahren, das unsere Position hier tangiert - oder etwas, das
seine Tat irgendwie erklärt? Das den Abschiedsbrief untermauert?«
Smiley
zögerte einen Augenblick, bevor er antwortete. Er hatte es kommen sehen.
»Ja. Ich
erfuhr von Mrs. Fennan, daß er sehr aufgeregt war, nach der Einvernahme.«
Ebensogut konnte er ihm gleich die ganze Geschichte erzählen. »Es ließ ihn
nicht los, er konnte nicht schlafen. Sie mußte ihm ein Beruhigungsmittel geben.
Ihr Bericht über Fennans Reaktion auf die Einvernahme erhärtet den Abschiedsbrief
in jeder Weise.« Einen Augenblick schwieg er und sah ziemlich abwesend vor
sich hin. »Was ich sagen wollte, ist, daß ich ihr nicht glaube. Ich glaube
nicht, daß Fennan den Brief geschrieben hat, noch, daß er die geringste
Absicht hatte, zu sterben.« Er drehte sich Maston zu. »Wir können über die
Widersprüche unmöglich hinwegkommen. Und noch etwas«, bohrte er weiter, »ich
habe zwar kein Gutachten von einem Sachverständigen, aber es besteht eine
Ähnlichkeit zwischen Fennans Abschiedsbrief und dem anonymen Schreiben. Es
sieht aus, als wäre es dieselbe Maschine. Es klingt lächerlich, das weiß ich
schon, aber es ist so. Wir müssen die Polizei einschalten, ihr die Tatsachen
zur Verfügung stellen.«
»Tatsachen?«
sagte Maston. »Was für Tatsachen? Nehmen wir an, sie hat gelogen - sie ist eine
merkwürdige Frau, in jeder Weise. Ausländerin, Jüdin. Der Himmel mag wissen,
was sich da für Einflüsse auf ihren Verstand bemerkbar machen. Man hat mir
gesagt, daß sie während des Krieges schwer gelitten hat, verfolgt und so
weiter. Sie sieht wahrscheinlich in Ihnen den Verfolger, den Inquisitor. Sie
merkt, daß Sie hinter irgend etwas her sind, gerät in Panik und erzählt Ihnen
die erstbeste Lüge, die ihr in den Sinn kommt. Macht sie das zu einer
Mörderin?«
»Warum hat
Fennan also angerufen? Warum hat er sich diesen Schlaftrunk gemacht?«
»Wer kann
das wissen?« Mastons Stimme war jetzt voller, suggestiver. »Wenn Sie oder ich,
Smiley, je zu diesem fürchterlichen Punkt gelangen würden, an dem man sich
entschließt, sich selber zu vernichten, wer könnte wohl sagen, was unsere
letzten Gedanken sein würden? Und bei Fennan ist es das gleiche. Er sieht seine
Karriere in Trümmern, sein Leben hat keinen Sinn mehr. Ist es nicht
verständlich, daß er in einem solchen Augenblick der Schwäche oder der
Unentschlossenheit den Wunsch hatte, eine menschliche Stimme zu hören, noch
einmal die Wärme menschlichen Kontaktes zu fühlen, bevor er starb? Eine
phantastische Grille vielleicht, eine Sentimentalität, aber nicht
unwahrscheinlich bei einem Menschen, der so fertig, so in eine fixe Idee
verrannt ist, daß er sich das Leben nimmt.«
Smiley
mußte ihn bewundern. Es war gut vorgetragen, und er war Maston auf diesem
Gebiet nicht gewachsen. Plötzlich fühlte er in sich eine wachsende Panik aufsteigen,
eine Hilflosigkeit, die nicht zu ertragen war. Und gleichzeitig eine nicht zu
zügelnde Wut über diesen Theater spielenden Angeber, diesen geschniegelten
Affen mit dem graumelierten Haar und dem gescheiten Lächeln. Panik und Wut
schwollen plötzlich zu einer Woge an, die seine Brust überflutete und seinen
ganzen Körper durchdrang. Er bekam einen heißen hochroten Kopf, seine Brillengläser
beschlugen sich, und als letzte Demütigung traten ihm Tränen in die Augen.
Maston,
der das, Gott sei Dank, nicht bemerkte, fuhr fort: »Sie können von mir nicht
erwarten, daß ich auf dieses Beweismaterial hin beim Innenminister andeuten
soll, die Polizei hätte einen falschen Schluß gezogen. Sie wissen, wie gespannt
unser Verhältnis zur Polizei ist. Einerseits haben wir Ihre Verdachtsmomente:
daß, kurz gesagt, Fennans Benehmen gestern abend nicht mit der Absicht zu
sterben zusammenzureimen ist. Seine Frau hat Sie offenbar angelogen. Auf der
anderen Seite haben wir die Meinung erfahrener Kriminalbeamter, die an den
Umständen seines Todes nichts Aufregendes gefunden haben, und wir haben Mrs.
Fennans Aussage, daß ihr Mann über die Einvernahme aufgeregt war. Es tut mir
leid, Smiley, aber so liegt der
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