Carvalho und das Mädchen, das Emmanuelle sein sollte
Gewebe aus schlimmsten Fetten geschützte Fleisch nur umso heller leuchtete. An einigen Stellen am Unterleib und an den Oberschenkeln vermischten sich die Dellen der Orangenhaut mit den Wunden der Messerstiche.
»Helga Singer?«
Lifante hatte die Frage an Dieste gerichtet, aber weder seine Augen noch sein Mund lieferten irgendeine Antwort.
»Erinnert diese Frau Sie wenigstens an Helga Singer?«
»Ja. Das könnte ihr Gesicht sein. Aber die Frau hier ist ein Monster, das ist nicht die Helga, die ich vor fünf, sechs Jahren das letzte Mal gesehen habe.«
»Besser bekannt als die Palita, wie sie von ihren obdachlosen Kollegen genannt wurde. Haben Sie Helga Singer gesucht?«
Diesmal galt die Frage Carvalho.
»Ich habe das Mädchen gesucht, das Emmanuelle sein sollte.«
Lifante zuckte mit den Achseln und informierte sie auf dem Weg zum Wagen über das weitere Prozedere: die Suche nach der Identität des Opfers anhand von Dokumenten oder der DNA. Der Assistent nickte, als machte er sich im Geiste Notizen. Hatte sie irgendwelche Familienangehörige in Spanien? Dieste wusste es nicht. Carvalho schon, aber er schwieg.
»Tag der offenen Tür. Wenn Sie wollen, gestatte ich Ihnen, dem Verhör einiger Obdachloser beizuwohnen, die wir vorgeladen haben.«
Dieste lehnte dankend ab. Carvalho betrat das Polizeipräsidium und verspürte sofort wieder diese Unruhe aus jungen Jahren, als er wegen der Beteiligung zu illegalen Studentendemonstrationen die ersten Male verhaftet worden war.
Als hätte sie eine Agentur gebucht, stieà er auf eine ganze Musterkollektion von Obdachlosen, angefangen vom Arbeitslosen mit dem Gesicht eines Büroangestellten, der betteln musste, um seine Kinder zu ernähren, bis zur alten, Kartons und Katzen hortenden Frau. Es gab den Halbwüchsigen, der nicht auf eigenen Beinen, sondern auf denen seines unter Drogen stehenden Hündchens stand, die hochschwangere Zigeunerin mit einem Baby auf dem Arm, dem wahrscheinlich dieselbe Droge verabreicht worden war wie dem Hund, den mondblassen Mann, der nachts Container durchwühlte, und den vom Herumstreifen auf den schönsten städtischen Deponien braungebrannten Müllsammler.
»Kannte einer von Ihnen die Palita? Weià einer, wie sie wirklich hie�«, fragte Lifante in die Runde und wandte sich dann mit kalter Wut an seine Mitarbeiter. »Wie kann es sein, dass Obdachlose nirgendwo erfasst sind?«
»Weil täglich mehr dazukommen«, erwiderte der Experte.
»Aller Altersstufen«, bestätigte ein anderer.
»Das einzige öffentliche Gut, das in diesem Land Bestand hat, ist die Bettelei«, sagte Lifante. »Sie kannten die Palita also nicht?«
Er gab einen Befehl. Das Licht wurde gelöscht, und auf der schmutzig-weiÃen Wand des Büros erschien die Projektion des Gesichts der Leiche, aufgedunsen von Todesangst, vom Tod selbst. Plötzlich ertönte die Stimme eines Bettlers in der Dunkelheit.
»Wenn Sie ihre Fotze zeigen würden, könnte ich sie vielleicht erkennen. Ich kenne die Fotzen von allen Bettlerinnen dieser Stadt.«
»ReiÃt das Maul auf, aber hat noch nie im Leben eine geleckt.«
»Warum sollte ich so eine Alte lecken? Hast du schon mal eine Pennerin gesehen, die dir den Hosenschlitz aufmacht, nur weil du sie anschaust?«
»Ich brauch sie nur anzuschauen, und sie blasen mir einen.«
Lifante wartete ab, bis sich die Penner abreagiert hatten, dann knöpfte er sich den vor, der nichts gesagt hatte.
»Wie heiÃen Sie?«
»Cayetano.«
»Kannten Sie die Palita?«
»Die auf dem Foto kenne ich nicht.«
»Aber die Palita haben Sie gekannt?«
»Privatangelegenheit.«
Lifante platzte der Kragen. Voller Ekel packte er Cayetano am ungepflegten Bart und schüttelte ihn hin und her.
»Du Wichser hast überhaupt keine Privatangelegenheiten. Du erzählst mir jetzt, was du über Palita weiÃt, oder du bleibst hier und darfst dir eine Woche in die Hosen scheiÃen.«
Lifante erinnerte sich, dass Carvalho der Szene beiwohnte. Er warf ihm einen drohenden Blick zu:
Verschwinden Sie
. Carvalho verlieà den Raum, spürte aber, wie der Inspektor ihm folgte. Er drehte sich um und blickte direkt in das strenge, kahle, eiförmige Gesicht mit den forschenden Augen.
»Habe ich Sie in Ihren Gefühlen verletzt?«
»Wenn ich Orte wie diesen betrete, lasse ich meine Gefühle
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