Carvalho und das Mädchen, das Emmanuelle sein sollte
Barcelonas, und aus dieser Mischung wird etwas Neues hervorgehen.«
»Aber ohne Gedächtnis.«
»Warum so stur? Hier entsteht ein neues Gedächtnis.«
Die Anthropologin verstummt, schaut aber den Detektiv prüfend an, als hingen sämtliche Falten ihres schönen, vorzeitig gealterten Gesichts davon ab, Carvalhos geheimen Code zu entschlüsseln. Als sie ihm gerade ihre Schlussfolgerungen mitteilen will, ertönt hinter ihnen eine männliche Stimme:
»Pepe Carvalho?«
Das Gesicht kommt ihm bekannt vor.
»Darf ich mich vorstellen? Inspektor Lifante.«
5 Die Polizei ist auch nicht mehr das, was sie mal war
Inspektor Lifante schlägt Carvalho vor, ein unzweifelhaft nordamerikanisches Restaurant aufzusuchen, in dem es jedoch nach gebratenen Sardinen riecht und wo die Garnelen mit Köpfen serviert werden, was eher unüblich für ein Yankee-Etablissement ist, wo man sie normalerweise still und heimlich enthauptet.
»Waren Sie schon mal in den USA, Lifante?«
»Ich habe einen Master in Kriminologie in Atlanta gemacht.«
»Dann wird Ihnen aufgefallen sein, dass die Fische dort keine Köpfe haben, genauso wenig wie die Garnelen.«
»Das ist wahr.«
»Zwei Möglichkeiten: Entweder sie benutzen die Köpfe als biochemische Waffen, oder sie wollen nicht das Gesicht von dem sehen, was sie essen. Vielleicht auch beides. Sie sagten, die Polizei habe sich verändert.«
Lifante nickt und richtet eine Salve scharfsinniger Blicke auf Carvalho, während er ihn an die Umstände erinnert, unter denen sie sich kennengelernt haben. Der Fall mit den anonymen Morddrohungen gegen einen Mittelstürmer.
»Sie waren ganz schön überrascht, als Sie erfahren haben, dass ich ein Experte auf dem Gebiet der Semiologie bin.«
»Ich muss gestehen, Sie kamen mir wie ein postmoderner Polizist vor.«
»Was soll das sein?«
So ganz im Klaren war sich Carvalho selbst nicht über das Konzept des Postmodernismus, aber er hatte den Eindruck, dass Postmoderne, bezogen auf einen Polizisten, auch Entideologisierung und Enthistorisierung bedeutete.
»Sie scheinen keine Ideologien zu haben und kein Teil der Geschichte zu sein.«
»In der Tat«, bemerkte Lifante. »Contreras, mein damaliger Chef, verfolgte eine Ideologie; er hatte am Bürgerkrieg teilgenommen, er hatte gewonnen und er war bei der Brigada PolÃtico-Social gewesen, zum Teil, weil es unter Franco obligatorisch war, sich dieser Prüfung zu unterziehen, wenn man bei der Polizei Karriere machen wollte. Deshalb hat die Chemie zwischen Ihnen und Contreras auch nicht gestimmt. Für meinen Chef waren Sie ein Roter. Im Gegensatz dazu habe ich Ihre Signale wahrgenommen. Ihr Code war der eines altmodischen, kauzigen, unwissenschaftlichen, in den Tag lebenden Ermittlers.«
»Sagen wir so: Meine politische Antipathie gegenüber Contreras hat sich in eine wissenschaftliche Geringschätzung Ihnen gegenüber verwandelt.«
»Sie besitzen Intuition, und ich vermute, Ihre Intuition hat Sie zu Dieste geführt â auf der Suche nach was?«
»Nach
wem
, ich suche immer nach jemandem.«
»Wenn Sie mich begleiten, erleichtere ich Ihnen die Arbeit.«
Er folgte Lifante zum Streifenwagen, wo Dieste sie erwartete und dabei laut vor sich hin schimpfte, wie viel Zeit man ihm stahl.
»Zum Institut.«
Der Wagen legte die Strecke zur Rechtsmedizin zurück wie ein Esel seinen täglichen Weg, ohne dass der Fahrer auch nur die geringste Eile an den Tag gelegt hätte. Dieste sah Carvalho vorwurfsvoll an und versuchte zum Ausdruck zu bringen, wie sehr es in ihm brodelte, aber obwohl sich der Detektiv durchaus für ein paar der Unannehmlichkeiten verantwortlich fühlte, denen der Schauspieler ausgesetzt war, konnte er seinen Blick nicht richtig deuten. Eine Tür nach der anderen öffnete sich vor Lifante, bis sie einen graugekachelten Saal mit mehreren leeren Bahren erreichten. Sie warteten, bis der zuständige Mitarbeiter einen sargähnlichen Kasten hervorgezogen hatte und ihnen â nachdem er sich überzeugt hatte, dass keiner der Neuankömmlinge ein Angehöriger der Verstorbenen war â das präsentierte, was er gerne Mumie nannte.
»Hier kommt Mumie acht.«
Und dort lag sie, eine Frau von etwa vierzig langen, schlecht gelebten, schlimmer noch, toten Jahren, gesäubert vom Blut, damit das vom Tod malvenfarbene, von einem subkutanen
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