Carvalho und das Mädchen, das Emmanuelle sein sollte
wäre, ohne dass ich irgendwas getan hätte! AuÃerdem war die Kleine elf Jahre alt, Gualterio.«
Gualterio machte eine Hundertachtzig-Grad-Drehung in seinem Sessel, und mit dem Rücken zu Biscuter fing er an, sich zu rechtfertigen:
»Sie war dreizehn, mit dreizehn ist eine Frau eine Frau. Was hast du da eben gesungen?«
»Hast du die Nacht in Madame Victorias Haus vergessen, als sie uns am Morgen mit diesem Lied weckte, dieser Zarzuela? Hast du das wirklich vergessen?«
»Ich erinnere mich. Was willst du sonst noch von mir?«
Biscuter lieà den Blick über die vielen Fotos der Toten ohne Grab schweifen. Er holte tief Luft, um sich Mut zu machen.
»Man sieht, dass es dir nicht schlecht ergangen ist und dass du aufgehört hast, Zigaretten und Duralex-Geschirr zu schmuggeln.«
»Keiner will mehr geschmuggeltes Duralex-Geschirr, und geraucht wird auch immer weniger. Aber du bist bestimmt nicht hier, um mich an diese trüben Zeiten zu erinnern.«
Biscuter dachte nach und lenkte das Gespräch auf eine konkrete Bestandsaufnahme ihrer gemeinsamen Erlebnisse in Andorra und im Gefängnis von Lérida, den Ausgangspunkten für die Schmuggelei des Argentiniers und Biscuters protzige Automarken. Was ihn zutiefst bewegte, ja sogar zu Tränen rührte, lieà Gualterio gleichgültig; genaugenommen, war er erst gelangweilt und dann genervt von der Situation. Der passende psychologische Moment für eine kleine Ãberraschung, folgerte Biscuter.
»Hast du schon mal von Helga Singer gehört, der argentinischen Emmanuelle? Eine Landsmännin von dir. Sie wollte Künstlerin werden und ist nach Barcelona gezogen. Zu der Zeit hast du bereits als Künstleragent gearbeitet.«
Gualterio drehte sich in seinem Sessel und sah Biscuter mit ernster Miene an. Er war nicht mehr gelangweilt. Auch nicht genervt. Selbst die kleinen Ãderchen in seinem Gesicht waren blass geworden, und etwas Ãhnliches wie Tränen schimmerte in seinen geröteten Augen auf.
»Und das fragst du mich? Wusstest du nicht, dass diese Frau mein Leben ruiniert hat?«
7 Warum nennst du deine Brüste Paradoxe?
Biscuter ist sprachlos, der Hut in seiner Hand hängt schlaff herab. Er schaut zu, wie sein Freund, der sich wieder erholt zu haben scheint, mehrere Fotoalben auf den Tisch legt, mit zitternden Händen langsam die groÃen Seiten umblättert und mit brüchiger Stimme einige der Wiederauferstehungen von Lebenden und Toten kommentiert, an die nur er sich erinnert.
»Die Lobita Mora hatte einen kleinen, vorspringenden Hintern, fast wie eine Stupsnase. Pepe el Gatero war genauso flink auf der Bühne wie bei seinen nächtlichen Einbrüchen. Das Klauen war lukrativer, aber mit der Zeit lieà er nach und landete im Knast. Schau mal, hier ist sie!«
Sieben Fotos von Helga Singer, zwei als argentinische Emmanuelle, die nach Spanien ausgewandert ist, aber noch immer im Korbsessel der Kristel sitzt; auf dem Rest die üblichen Posen, wie man sie aus Katalogen mit Künstlerfotos kennt.
»Die Fotos haben ja mehr Jahre auf dem Buckel als ich«, bemerkte Biscuter.
»Was hast du erwartet? Ich habe Helga bis 1980 vertreten. Das ist siebzehn Jahre her! WeiÃt du, was das heiÃt, siebzehn Jahre?«
»Wie kam es, dass sie nicht die argentinische Emmanuelle wurde?«
Gualterio nahm sich genauso viel Zeit zum Luftholen wie für seine Geschichte.
»Das Ganze war eine Inszenierung des Geschäftsführers von ein paar Kaufhäusern in Buenos Aires, in der Calle Corrientes, da wo sie auf die Callao stöÃt. Teils um Werbung zu machen, teils um die Mädchen ins Bett zu kriegen. Das alles hat mir Helga erzählt, Jahre später, als sie neu in Barcelona war und hier in dieser Wohnung landete. Helga war eine Mischung aus Misstrauen und Sarkasmus. Sie hatte vor allem Möglichen Angst und lachte darüber, wie naiv sie gewesen war. Sie war mit diesem dürren, fast magersüchtigen Kerl im Bett gelandet. Bis auf den Schwanz war alles an ihm groÃ, sogar der Adamsapfel, an den sich Helga wie an eine riesige, bewegliche Geschwulst erinnerte. Nachdem sie es getrieben hatten, kuschelte sich Helga an ihn. âºGlaubst du wirklich, dass ich die Rolle bekomme?â¹, fragte sie ihn. Und der Schwachkopf antwortete: âºWenn du sie nicht bekommst, bekommt sie auch keine andere, das schwöre ich dir.â¹ Geteiltes Leid sei halbes Leid, wandte Helga
Weitere Kostenlose Bücher