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Carvalho und das Mädchen, das Emmanuelle sein sollte

Carvalho und das Mädchen, das Emmanuelle sein sollte

Titel: Carvalho und das Mädchen, das Emmanuelle sein sollte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manuel Vázquez Montalbán
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Leben zu rekonstruieren. Von dem Moment, als sie nach Spanien kam, bis zu dem, als sie in der Metro-Station Urquinaona aufgefunden wurde, niedergestochen.«
    Â»Ah. Conditio humana! Wer sich nicht selbst helfen will, braucht nach seinem Tod die Hilfe der anderen, um sich selbst zu finden.«
    Â»Konfuzius?«
    Â»Nein, Chef, von mir.«
    Ohne die Passanten oder die Straße eines Blickes zu würdigen, das Ziel fest vor den Glupschaugen, bewegte sich Biscuter über die Ramblas. Er bog in die Escudillers ein und ließ das Restaurant Los Caracoles hinter sich, wo auf einem Rost vor der Tür in aller Ruhe die Hähnchen vor sich hin brutzelten.
    Er betrat ein Treppenhaus, das früher einmal mit Portier, Marmorstufen und bronzenem Geländer geprotzt hatte. Er vergewisserte sich, dass die Pförtnerloge leer war und niemand mehr dort saß, der seit dem letzten großen Krieg – dem in Korea zum Beispiel – tot war, stieg die trostlosen, altersschwachen Treppenstufen auf Zehenspitzen hoch, um ihnen keinen weiteren Schaden zuzufügen, und nahm sich in Acht, unter keinen Umständen das Geländer anzufassen, auf dem der fettige Schmutz unzähliger Hände eine Farbschicht hinterlassen hatte, der auch der allgemeine Verfall nichts anhaben konnte. An der Tür ein Porzellanschild: Gualterio Sampedro, Künstleragent. Drei Riegel wurden aufgeschoben, bevor sich die Tür mithilfe von Gualterio Sampedros langer, violett geäderter Nase öffnete.
    Â»Kenne ich Sie?«
    Â»Josep Plegamans Betriu, alias Biscuter. Wir sind uns im Knast begegnet, Gualterio.«
    Â»Biscuter, was für ein bescheuerter Spitzname. Du musst ein ziemlicher Schwachkopf gewesen sein.«
    Er öffnete die Tür, und Biscuter betrat ein Museum der archäologischen Fotografie. Auf dem Tisch und an den Wänden Hunderte von Schnappschüssen alter Schauspieler oder Leuten, die es zu sein schienen. Auf Biscuters Gesicht lag ein seltsam verschwörerisches Lächeln. Der alte, schlechtgelaunte Mann, dessen Ohren von genauso vielen Äderchen durchfurcht waren wie seine Nase, schaute wie ein cholerischer Hund auf, um den Eindringling zu mustern. Biscuter sang:
    Ich hab die Nacht in einem Traum verbracht,
    und dieser Traum erzählte mir von Liebe,
    der Liebe zu dem göttlichen Bild,
    das ich einst in meinem Herzen trug.
    Â»Haben die Verrückten heute Freigang?«
    Biscuter öffnete die Arme.
    Â»Gualterio!«
    Der Mann lehnte sich in seinem Sessel zurück und stoppte mit einem Arm Biscuters Avancen.
    Â»Sie kriegen keinen müden Heller von mir. Ich habe meinen Gläubigern bereits gesagt, dass sie mich so lange nicht nerven sollen, bis Argentinien seine Auslandsschulden bezahlt hat und Barcelona die Hauptstadt von Deutschland ist. Wenn die argentinische Regierung irgendwem Geld schuldet, dann kann ich das auch.«
    Â»Der Schnee der Zeit färbte meine Schläfen silbern, aber erkennst du mich wirklich nicht? Erinnerst du dich nicht an Biscuter? Die Tortillas, die ich im Gefängnis von Lérida für dich gemacht habe, als du wegen Schmuggelei gesessen hast? Die Julepe-Partien in Madame Victorias Haus in Andorra? Der Hurenbock aus der Pampa, wie ihr mich nanntet, weil ich meine Rute gefaltet reingesteckt und erst nach dem dritten Fick wieder rausgezogen habe?«
    Gualterio schien sich zu erinnern. Es gelang ihm. Aber es waren keine guten Erinnerungen.
    Â»Gefaltet reingesteckt hast du ihn bestimmt nicht. Madame Victoria meinte, du hättest einen so Kleinen, dass es kaum zu glauben ist. Das Klatschmaul. Du sahst aus wie eine gerade erst mit der Zange rausgeholte Missgeburt. Ich hatte noch nie einen Häftling gesehen, der weniger widerstandsfähig war als du. Hat es Antonio, der schwarze Muskelprotz, geschafft, dir den Arsch aufzureißen?«
    Â»Nein. Weder er noch sonst einer. Trotz des schäbigen Milieus habe ich viele als gute Freunde in Erinnerung, auch Antonio, den schwarzen Muskelprotz, der sich geweigert hat, sich zu waschen, bis man ihn aus der Untersuchungshaft entlassen würde. Zu dem Zeitpunkt saß er bereits zehn Jahre in Untersuchungshaft.«
    Â»Gute Freunde, Partys, geklaute Luxuskarossen, Puffs, Kartenspiele, nur ausgesagt hast du damals nicht für mich. Du hast mich nicht aus dem Bau geholt, als es um die Sache mit der Minderjährigen ging.«
    Â»Dich aus dem Bau holen, ich? Aber wenn ich doch selbst um ein Haar in den Knast gewandert

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