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Carvalho und das Mädchen, das Emmanuelle sein sollte

Carvalho und das Mädchen, das Emmanuelle sein sollte

Titel: Carvalho und das Mädchen, das Emmanuelle sein sollte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manuel Vázquez Montalbán
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Leidenschaft, wie sie nur ein Fünfzigjähriger angesichts eines dämlichen Körpers empfinden kann.«
    Â»Du bist doch nur verbittert, weil Rocco sie gevögelt hat und nicht du.«
    Â»Er hat sie ja nicht mal gevögelt. Wir waren damals alle sehr platonisch drauf und achteten die Freiheit der anderen, und Rocco wollte dir treu bleiben, weil du in den Händen des Militärs warst. Es ist wahr, wir haben damals tatsächlich jungfräulich geheiratet. Ich darf doch für dich sprechen, Dorotea?«
    Â»Solange du nicht für dich sprichst. Du hast ja nicht mal geheiratet.«
    Â»Weil ich keine Jungfrau mehr war.«
    Carvalho unterbrach den Austausch ihrer Erinnerungen.
    Â»Was geschah mit Helga?«
    Â»Sie machte Schluss mit Rocco, und zwar deshalb, weil sie zu ehrgeizig war und kapierte, dass er sich, politisch betrachtet, in einer ziemlich miesen Lage befand. Seine Frau war verschwunden, also du, Dorotea, und früher oder später würden sie auch ihn holen. Rocco hatte nichts anderes zu bieten, als das Versuchskaninchen ihrer Gefühle, ihrer Sexualität zu sein, und sie wollte Schauspielerin, besser gesagt, ein Star werden. Ihr Vorbild hätte gut Susana Jiménez sein können, so was in der Art. Deshalb hat es mich auch nicht sonderlich überrascht, als ich ihren Namen zwei Jahre später in den Klatschspalten las. Sie trat mit fünf anderen jungen Frauen bei einem Wettbewerb an, bei dem die argentinische Emmanuelle gesucht wurde, jede von ihnen in der bekannten Pose von Sylvia Kristel, halbnackt in einem Korbstuhl sitzend. Doch aus der Sache wurde nichts. Ich habe mich nicht weiter dafür interessiert, ich hatte eine Tournee vor mir und wollte die Gelegenheit nutzen, um nach Arbeit und einem sicheren Versteck außerhalb von Buenos Aires zu suchen. Das Militär war noch immer auf der Jagd, sie waren nervös, und diese Nervosität brachte dann später Gualtieris hirnverbrannte Idee mit dem Falkland-Krieg hervor. Sagtest du, Helga sei nach Spanien gegangen? Ich bin erst fünfundachtzig hier eingetroffen, und in den Kreisen unserer Landsleute hat sie sich damals nicht herumgetrieben, zumindest nicht in der Theaterszene. In Barcelona gibt es kaum Argentinier beim Theater, das findet fast nur auf Katalanisch statt. Aber denen werde ich es schon noch zeigen.«
    Er beendete seinen Monolog, aber Dorotea gab sich nicht zufrieden.
    Â»Du verschweigst etwas.«
    Â»Was sollte ich denn verschweigen?«
    Â»Ich weiß, dass du mehr weißt. Ich weiß, dass ihr irgendein Verhältnis hattet, hier in dieser Stadt.«
    Dieste platzte der Kragen.
    Â»Ich habe Verhältnisse, mit wem ich Lust habe! Das ist meine Privatsache! Welcher Idiot hat dir gesagt, dass ich Kontakt zu Helga habe?«
    Â»Ich weiß, dass es so ist.«
    Â»Na schön. Kommt mit einem Anwalt wieder, wenn ihr den Mumm dazu habt. Das ist doch eine Falle.«
    Er kehrt ihnen den Rücken zu und tritt ab. Als Dorotea ihm wütend folgen will, hält Carvalho sie zurück und schlägt ihr vor hinauszugehen. Auf der Calle Icario bewegen sich ihre Körper spontan in Richtung der beiden fast gleich aussehenden Türme des Port Nou, um nach einer Weile den großen, das Hafenbecken umgebenden Marktplatz mit den Restaurants zu erreichen. Sie lassen sich auf den Stufen nieder und betrachten das Kommen und Gehen der Boote, diesen Protagonisten einer Gegend, die aussieht, als hätte man sie Stein für Stein, Boot für Boot, Liter Wasser für Liter Wasser, Schild für Schild aus einem modernen nordamerikanischen Hafen hertransportiert.
    Â»Früher haben sich die Amerikaner europäische Denkmäler, Villen und Häuser geholt, um sie drüben wieder aufzubauen. Heute ist es umgekehrt. Das ganze olympische Barcelona, dieses neue Barcelona, sieht aus, als hätte man etwas zutiefst Amerikanisches hierherverpflanzt.«
    Â»Ich bin Ausländerin und sehe das anders. Es ist mehr. Ich wohne in der Villa Olímpica, drei Straßen entfernt von dem Atelier, wo Dieste probt. Diese Gegend bietet eine andere Art des Lebens, zu dem auch die Erfahrung des Meeres gehört.«
    Â»Der Ort hat kein Gedächtnis.«
    Â»Das stimmt, er ist ein Teil der Stadt, der ohne Archäologie auskommen muss. Wie Argentinien. Wie ein Land, das erst durch seine Einwanderer zu einer Identität findet. In der Villa Olímpica leben Emigranten aus ganz unterschiedlichen Teilen

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