Cashkurs
aus der Klemme geholfen, auch wenn es den eigenen Profit geschmälert hat. Wenn es in seltenen Fällen ein Missverständnis gab, das sich erst am nächsten Tag durch die Abrechnungen herausgestellt hat, so war es guter Brauch, nicht die Gerichte zu bemühen, sondern nach bester hanseatischer Kaufmannsehre den Schaden zu teilen.
Es war eine eingeschworene Gemeinschaft der Kaufleute, die miteinander gehandelt und gestritten haben, um für ihre Kunden das beste Ergebnis zu erzielen, dabei aber nie unfair und nie um jeden Preis. Jeder wusste, er ist noch viele Jahre auf die Zusammenarbeit mit den anderen angewiesen – und wer sich einmal unehrenhaft zeigte, der war raus. Mit dem hat man jedes weitere Geschäft vermieden.
Das ist vielleicht die größte negative Veränderung der letzten Jahre: Durch die immer schneller werdende Spekulation (langfristigen Investoren ist egal, ob sie jetzt oder in einer Stunde kaufen) wurde der Mensch zum Störfaktor. In einer Zeit, in der Aktien und Wetten in Nanosekunden um den Globus gejagt werden, in denen Unternehmen sehr viel Geld ausgeben, damit ihre Server einen Straßenzug näher am Rechenzentrum der Börse stehen, weil das unter Umständen einen tausendstel Wimpernschlag Vorsprung vor der Order des Konkurrenten bringt, ist der Mensch, der mit dem Gegenüber noch Auge in Auge über einen Preis verhandelt, einfach zu langsam. Er wird schlichtweg überflüssig.
Und heute? Kein Gerenne mehr an der Börse, kein »30 Brief für 1000 Röhren«, kein »Naddellll!«. Aber auch keine Kaufmannsehre. Keine Hemmungen. Jeder versucht den anonymen Zockercomputer, den Gegner, irgendwo im Nebel der Elektronikwelt maximal zu übervorteilen. Die Kaufmannsehre, der Anleger, der Investor und damit auch Erna Kapulke bleiben dabei leider auf der Strecke.
Auch wenn Tag für Tag Milliardenbeträge bewegt werden und Orders von Hochleistungs-Computern innerhalb von Millisekunden abgewickelt werden, ist das grundlegende Prinzip des Börsenhandels ganz ähnlich organisiert wie ein Flohmarkt: Bei begehrten Raritäten überbieten sich die Kaufwilligen gegenseitig, Spürnasen können so manches unentdeckte Schnäppchen ergattern, die weniger begehrten Stücke werden zu Ramschpreisen verschleudert, und auf den Ladenhütern bleiben die Eigentümer am Ende des Tages sitzen.
Angebot und Nachfrage bestimmen also den Preis, und an der Börse treffen beide Seiten aufeinander. Oft folgen die Entscheidungen der Spekulanten den gleichen Argumenten wie die der Investoren, denn die Spekulanten versuchen, den Investoren einen Schritt voraus zu sein und zu bleiben. Allerdings lösen sie mit ihrer Masse und Marktmacht eine Kursentwicklung erst aus, und vor allem übertreiben sie diese ins Extrem. Um dies an einem Beispiel zu verdeutlichen, folgen Sie mir bei diesem Gedankenspiel: Die Spekulanten hören, dass es in Libyen zum Aufstand kommt, und glauben, das Öl könne in der Folge teurer werden. Weltweit kaufen jetzt diese Spekulanten mit riesigen Summen Öl (nicht in großen Tankern, sondern virtuell über die sogenannten Terminbörsen, an denen die Preise festgestellt werden, zu denen dann auch das echte Öl abgerechnet wird). Dadurch schießt der Ölpreis erst recht durch die Decke, obwohl noch gar nichts passiert ist und es noch überall genug Öl gibt. Mögliche Einflussfaktoren auf die Preisbildung sind mannigfach, und die nachfolgende Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Die aktuelle Lage des Unternehmens. Die momentane Gewinnsituation sowie die Vermögenswerte des Unternehmens sind ein wichtiger, aber längst nicht der einzige Aspekt bei der Kursbildung.
Die Zukunftsaussichten des Unternehmens. Je mehr Entwicklungs- und Wachstumschancen Investoren für die Zukunft sehen, umso begehrter werden die Aktien des Unternehmens, und die Kurse steigen. Umgekehrt können bei einem momentan grundsoliden Unternehmen die Kurse fallen, wenn Umsatz- und Gewinneinbußen befürchtet werden.
Übernahmespekulationen. Gerät ein Unternehmen ins Visier von Aufkäufern, dann beginnen die Kurse meistens zu steigen – denn um die bisherigen Aktieninhaber zum Verkauf zu bewegen, muss in aller Regel im Übernahmeangebot ein attraktiver Preisaufschlag drin sein.
Branchentrends. Mal sind es Internet-Firmen, dann wieder Biotech-Labors, Goldminenbetreiber oder Solarmodulproduzenten: Ähnlich wie bei der Kleidung gibt es auch an der Börse Moden, die kommen und gehen und sich manchmal auch wiederholen. Und wenn der Trend
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