Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens
Sie keine Flausen, sonst werde ich Ihnen zeigen, was die Glocke geschlagen hat. Wir in Ansbach werden Ihnen nicht auf das aberwitzige Wesen hereinfallen, das lassen Sie sich nur gesagt sein.«
Herr Binder und ich waren durch solche herausfordernde Redeweise wie begreiflich sehr empört. Aber Herr Hickel zeigte keine Lust, sich zu rechtfertigen, er befahl Caspar in knappen Worten, sich fertigzumachen, in einer halben Stunde werde er fahren. Währenddem kamen der Baron Scheuerl, der Assessor Enderlin und andre Bekannte Caspars, die von der Abreise gehört hatten und ihm Lebewohl sagen wollten; ich hatte keine Zeit mehr, nur drei Worte mit ihm zu wechseln, binnen kurzem waren wir alle im Hausflur versammelt. Die Menge auf der Straße hatte sich vermehrt, in der Dunkelheit sah es aus, als ob ganz Nürnberg auf den Beinen sei. Die Zunächststehenden stießen drohende Reden aus, Herr Hickel forderte vom Bürgermeister, daß er die Wache aufziehen lassen solle, doch eine solche Maßregel erklärte dieser für überflüssig, und in der Tat genügte sein bloßes Erscheinen, um die Ruhe wiederherzustellen.
Als Caspar zum Wagenschlag trat, rannte alles zuhauf, jeder wollte ihn noch einmal sehen. Die Fenster der gegenüberliegenden Häuser waren erleuchtet und Frauen winkten mit Tüchern herab. Die Kisten und Vachen waren aufgebunden, derKutscher schnalzte, die Pferde zogen an – und fort war er.
Überzeugt, daß Eure Exzellenz zu den wenigen aufrichtigen Gönnern des Jünglings gehören, fühlte ich mich im Innersten gedrängt, Ihnen über diese Vorfälle genauen Bericht zu erstatten. Nur einige Stunden sind seit den erzählten Begebenheiten verflossen, es ist weit über Mitternacht, die Feder will meiner Hand entsinken, aber ich durfte keine Frist verstreichen lassen, um nicht selber zum Fälscher meiner Erinnerung zu werden. Wo die Verleumdung so unermüdlich am Werk ist, soll auch der Gutgesinnte eine Nachtwache nicht scheuen, wenn er zu fürchten hat, daß ihn der bloße Schlaf nur um eine Linie von der Deutlichkeit seines Erlebens betrügen könnte. Vielleicht finden Eure Exzellenz, daß ich die Dinge falsch deute oder in ihrer Wichtigkeit überschätze. Mag sein, ich habe jedoch meine Pflicht erfüllt und bin mir keiner Versäumnis bewußt. Ich trage schwere Sorge um Caspar, ohne daß ich ganz zu sagen vermöchte weshalb, aber ich bin nun einmal als Geister- und Gespensterseher auf die Welt gekommen, und mein Auge sieht den Schatten früher als das Licht.
Nicht vergessen will ich zum Schluß die Erwähnung, daß mir Herr von Tucher bei seinem letzten Besuch die hundert Goldgulden übergab, die Caspar vom Herrn Grafen Stanhope geschenkt erhalten. Ich werde die Summe mit nächster fahrender Post an Eure Exzellenz überschicken.
Frau Behold an Frau Quandt:
Werte Frau,
excusez,
daß ich mich schriftlich an Sie wende, was Sie extraordinaire findenwerden, da ich Ihnen doch im ganzen fremd bin, obwohl Sie in meiner Eltern Hause Ihre Jugend verlebten. Mit großem Etonnement vernehme ich, daß der Caspar Hauser nunmehr in Ihrem Heim weilen wird, und ich fühle mich gedrungen, Ihnen zum Belehr etwelches über den Sonderling zu eröffnen. Sie wissen doch, daß der Hauser das Wunderkind von Nürnberg war. Lob und Verhätschelei hätten bei einem Haar den Knaben zum Narren gemacht, es ist eben ein tolles Volk dahier. In solchem verderbten Zustand haben wir ihn aus reinem christlichem Mitleid und, ich schwöre, ohne jede Nebenabsicht zu uns genommen. Bei aller Tollheit haben die andern doch vor dem vermummten Kerl mit dem Beil Angst gehabt, wir aber fürchteten nichts, und der Hauser wurde bei uns wie ein Kind geliebt und estimieret. Übel ist uns das gelohnt worden; keine Erkenntlichkeit vom Hauser, und noch dazu die böse Nachrede seines Anhangs. Wieviel ärgerliche Stunden, wieviel Verdruß er uns durch seine entsetzliche Lügenhaftigkeit bereitet hat, davon sind alle Mäuler stumm. Nachher freilich hat er alleweil Besserung gelobet und ward mit frischer Liebe an unser Herz geschlossen, aber fruchten tat es nichts, der Lügengeist war nicht zu bannen, immer tiefer versank er in dieses abscheuliche Laster. Ist viel Gerede gewesen von seinem keuschen Sinn und seiner Innocence in allem Dahergehörigen. Auch hierüber kann ich ein Wörtlein melden, denn ich hab’s mit meinen eignen Augen gesehen, wie er sich meiner damals dreizehnjährigen Tochter, heute ist sie in der Schweiz in Pension, unziemlich und unmißverstehlich
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