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Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Titel: Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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nichts. »Kenn’ ich doch Hausers sanfte Seele,« so drückte er sich mir gegenüber aus. Auf einmal sprang Caspar auf, streckte die Arme in die Luft, stöhnte, starrte vor sich hin, als sehe er einen Geist, dann kehrte er sich um und rannte mit erstaunlicher Geschwindigkeit zur Tür und die Treppe hinunter auf den Platz. Hill folgte ihm unverzüglich, denn er schloß mit Recht, daß Caspar in einer bedenklichen Verfassung sei und daß man ihn so nicht sich selber überlassen dürfe. Als er den Burgberg herunter gegen die Füll lief, gewahrte er ihn noch rechtzeitig und konnte ihn im Auge behalten.
    Caspar eilte nun durch mehrere Gassen, und zwar ganz unsinnig die kreuz und quer, danachüber die Glacis und nach St. Johannis hinüber. Hill folgte in einer Entfernung von fünfzig oder sechzig Ellen und hatte auf jede Bewegung Caspars genau acht. Trotzdem es den Anschein ziellosen Gehens hatte, war doch der Schritt des Jünglings so beschleunigt, ja ungeduldig, als wolle er ein vor ihm fliehendes Etwas erhaschen. Es ging nun durch die Mühlgasse, am Ende dieser Gasse breitet sich das flache Feld aus und die Straße verwandelt sich in einen Wiesenweg, der längs der Mauer des Johanniskirchhofs zur Pegnitz und zum Wald hinunterführt. An der Kirchhofsmauer, die so niedrig ist, daß auch ein mittelgroßer Mensch leicht über sie hinwegblicken kann, blieb Caspar jählings stehen, riß den Hut vom Kopf und preßte die Hand gegen die Stirn. Es wird Eurer Exzellenz bekannt sein, eine wie ungeheure Wirkung schon früher einmal bei der Annäherung an den Gräberort an ihm wahrgenommen worden ist. Er schien zu zittern, er atmete mit offenem Mund, seine Züge drückten Grauen aus, die Hautfarbe wurde bleifahl, er sah aus, als könne er sich nicht losreißen, plötzlich aber stürzte er so schnell weiter, daß sein Beobachter Mühe hatte, ihm nah zu bleiben, auch dachte Hill, Caspar müsse ins Wasser stürzen, da er am Flußufer in ein wildes Torkeln geriet. Glücklicherweise wandte er sich gegen den nahen Forst und verschwand alsbald zwischen den Stämmen. Hill hatte Angst, daß er ihm entkommen könnte; er bemerkte einige Arbeiter, die an einer Erdgrube Sand schaufelten, und forderte sie auf, ihm zu helfen; drei oder vier gesellten sich zu ihm, und sie drangen verteilt ins Gehölz; doch Hill selbst war es, der Caspar nach langemSuchen und als er schon höchlichst besorgt wurde, zuerst wieder erblickte. Er sah ihn kniend am Fuß einer mächtigen Tanne, er sah, wie er die Hände aufhob, und hörte ihn mit einer leidenschaftlich flehenden Stimme rufen: »O Baum! O du Baum!« Nichts weiter als diese Worte, und mit solchem Gefühl, wie man ein Gebet spricht, wenn der Geist in höchster Bedrängnis ist. Hill sagte aus, er habe es nicht über sich gebracht, ihn anzurufen, überhaupt hat der einfache Mann bei all diesen Vorgängen ein Zartgefühl und eine Menschlichkeit bewiesen, um deretwillen ich ihm meine Anerkennung nicht versagen kann. Die Arbeiter, die er mitgenommen, riefen ihm, er gab ein Zeichen, sie kamen herbei; Caspar hatte sich indes erschrocken aufgerichtet, blickte die Leute der Reihe nach an, und es schien, als erkenne er Hill nicht. Dieser dankte den Männern und bedeutete ihnen, daß er sie nicht mehr brauche. Von ihm untergefaßt, ließ sich Caspar ohne Widerstand aus dem Forst herausführen; im Gegensatz zu seinem bisherigen Wesen zeigte er nun eine vollkommene Gelassenheit. Hill fragte ihn, wohin er denn gehen wolle, und nach einigem Zögern antwortete Caspar, er müsse zum Mittagessen zu Herrn Daumer. Da lachte Hill und erinnerte ihn, daß Mittag längst vorbei sei; als sie vor der Stadtmauer ankamen, begann es schon zu dämmern. Caspar ging jetzt außerordentlich langsam, und trotzdem Hill um vier Uhr auf der Polizeiwache hätte sein sollen, begleitete er ihn noch zu Professor Daumers Haus und wich erst von der Stelle, als sich das Tor hinter seinem Schützling geschlossen hatte.
    Dies, Exzellenz, die getreue Wiedergabe dessen,was der Mann berichtet hat. Ich habe seine Erzählung, deren Glaubwürdigkeit zu bezweifeln kein Anlaß vorliegt, protokollieren lassen. Aus den Begebnissen selbst weiß ich, wie gesagt, nichts zu machen, auch ist es nicht an mir, den Schlüssen Eurer Exzellenz vorzugreifen. Gestern habe ich mich von Hill zu der Stelle führen lassen, wo Caspar kniend gefunden wurde, denn ich dachte mir, daß da vielleicht etwas Besonderes sei. Es ist, ungewöhnlich bei solcher Stadtnähe, ein friedensvoller

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