Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens
erschien ein Offizier in Gendarmenuniform, und bevor er noch seinen Namen nannte, wußte ich natürlich, wer es war. Caspar war bei dem grellen Glockenlärm stark zusammengefahren. Hinzufügen muß ich noch, daß die vorher erwähnte Auseinandersetzung mit dem Diener sowie das Gespräch mit dem Kandidaten im Flur vor der Treppe stattgefunden und Caspar nichts davon gehört hatte; er erhob sich jetzt und schaute mit einem langen Blick gegen die Türe, und als er des Herrn Polizeileutnants ansichtig geworden, wurden seine Wangen wieder genau so tödlich fahl wie tags zuvor, da ich insein Zimmer gekommen war. Ich kann mir, wenn ich die Tatsachen im Zusammenhang gegeneinander halte, keine andre Erklärung denken, als daß Caspar alles das, was sich nun seit vierundzwanzig Stunden abspielte, von innen aus erriet, sozusagen durch ein inneres Gesicht, und daß er der äußeren Bestätigung durch die Ereignisse gar nicht mehr bedurfte, denn es gab sich eine Versunkenheit an ihm kund, die ich nur mit der schrecklichen Ruhe eines Schlafwandlers vergleichen kann. Ich selbst war nachgerade so benommen, daß ich, wie ich fürchte, Herrn Hickel mit einer unfreundlich wirkenden Kälte empfing. Glücklicherweise schien dieser keine Notiz davon zu nehmen, und nachdem er sich gegen meine Damen verbeugt, wandte er sich an Caspar und sagte mit einem Ton der Überraschung, der freilich nicht ganz aufrichtig klang: »Das ist also der Hauser! Ist ja ein ganz ausgewachsener Mensch, mit dem wird sich ja reden lassen!« Caspar schaute den Mann groß an, und zwar mit einem finster prüfenden Blick, in dem durchaus nichts Wehleidiges oder Jämmerliches war. Es entstand nun ein allseitiges Schweigen; ich überlegte mir, wie ich es anstellen könnte, damit Caspar die Nacht über noch in meinem Hause bleiben könne, denn in seinem Zustand ihn einem Fremden zu überlassen erschien mir unratsam. Ich erklärte mich Herrn Hickel mit offenen Worten, er hörte mich ruhig an, sagte aber dann, er habe gemessenen Auftrag, Caspar gleich mitzunehmen, es sei keine Zeit zu verlieren, die Sachen müßten noch gepackt werden und der Wagen stehe schon bereit. Meine Schwester Anna, unbändig wie sie ist, rief mir zu, ich solle mich darum nichtkümmern, zugleich trat sie, wie um ihn zu schützen, an Caspars Seite. Herr Hickel lächelte und sagte, wenn uns so viel an einem Aufschub gelegen sei und wir noch etwas mit Caspar zu besprechen hätten – sein Ton war dabei so beziehentlich, daß ich stutzig wurde –, wolle er nicht den Spielverderber machen, ich müsse mich aber verpflichten, Caspar punkt neun Uhr zum Tucherschen Haus zu bringen. Jetzt verlor auch ich die Fassung und fragte, ob denn die Sache um Gottes willen so dringend sei, daß er in die Nacht hineinreisen wolle. Herr Hickel zuckte die Achseln, schaute auf die Uhr und antwortete kalt, ich möge mich entschließen. Jetzt begann Caspar zu sprechen, und mit einer Stimme, deren Klarheit und Festigkeit mir bei ihm etwas ganz Neues war, sagte er, er wolle sogleich mitgehen. Wir sahen aber alle, daß er vor Erschöpfung zitterte und daß er sich kaum auf den Beinen zu halten vermochte. Meine Mutter und Schwester beschworen ihn zu bleiben, Herr Hickel, der bei Caspars Worten abermals gelächelt hatte – o, ich kenne dieses Lächeln! wie oft hat es mir die Schamröte ins Gesicht getrieben! –, kehrte sich gegen mich und sagte: »Also um neun Uhr, Herr Professor,« und zu Caspar gewandt, erhob er den Finger und sagte schalkhaft drohend: »Daß Sie mir ja pünktlich sind, Hauser! Auch muß ich wissen, wo Sie sich den Nachmittag über herumgetrieben haben. Lassen Sie sich beileibe nicht einfallen, mich anzulügen, sonst gibt’s was. Da kenn’ ich keinen Scherz.«
Grüßend ging Hickel und ließ uns in einem Zustand von Empörung, Zweifel und Unruhe zurück. Das alles nahm sich ja schlimmeraus, als es die ärgste Befürchtung malen konnte. Besonders die letzten Worte des Leutnants hatten mich wie auch meine Angehörigen mit Schrecken erfüllt. Was sollten wir von der Zukunft Caspars denken, was von seinem Glück erhoffen, wenn Drohungen von so brutaler Art unverhüllt auftreten durften? Das Herz war mir schwer geworden. Doch war zu grübeln nicht die Zeit. Ich beschloß, zum Bürgermeister zu gehen und mich mit ihm zu beraten. Anna hatte schnell auf dem Sofa ein Lager bereitet, sie führte Caspar hin, er sank nieder, und kaum ruhte sein Kopf auf dem Kissen, so schlief er auch schon. Indes ich mich zum
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