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Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Titel: Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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Fortgehen anschickte, läutete es, und Herr Binder kam selbst. Ich verständigte ihn in Eile von dem Vorgefallenen, er war höchlichst befremdet von dem Auftreten des Ansbacher Herrn, und da er es für tunlich hielt, mit diesem selbst zu sprechen, forderte er mich auf, ihn zu begleiten. Wir überließen Caspar der Obhut der Frauen und gingen in die Hirschelgasse. Es hatten sich trotz der Abendstunde eine Menge Menschen hauptsächlich aus der niederen Volksklasse vor dem Tucherschen Haus eingefunden, die, ich weiß nicht durch welche Umstände, von der bevorstehenden Abreise Caspars unterrichtet waren und teils laut, teils murrend ihre Mißbilligung ausdrückten.
    Als wir die Tür von Caspars Zimmer geöffnet hatten, bot sich uns ein sonderbarer Anblick. Die Kommodeschubladen und Schränke waren vollständig ausgeräumt; Wäsche, Kleider, Bücher, Papier, Spielwaren, alles lag wüst auf dem Boden und auf Stühlen, und Herr Hickel kommandierte den Diener, der damit begonnenhatte, die Sachen ordnungslos in einem Reisekoffer und einer kleinen Kiste unterzubringen. Als er uns gewahrte und den Unwillen aus unsern Blicken las, sagte er lächelnd, als ob es sich um eine Schmeichelei handle, jetzt fange ein neues Regiment für den Findling an, jetzt werde alles an den Tag kommen. Mit finsterem Gesicht entgegnete Herr Binder, was er damit meine, was denn eigentlich an den Tag kommen solle; zugleich gab er sich unter Nennung seines Namens zu erkennen. Herr Hickel geriet in Verlegenheit; mit einigen nichtssagenden Wendungen entschlug er sich der Antwort; er behauptete, Caspar zu lieben; es sei ihm nur darum zu tun, den jungen Menschen vor falschen Illusionen zu bewahren. Da stieg mir das Blut zu Kopfe, und ich antwortete, wer denn anders solche Illusionen erzeugt und genährt hätte als gewisse Herrschaften, die sich nun aus dem Staub zu machen schienen; erst schmücke man den Arglosen mit einem festlichen Kleid, und wenn er dann darin herumzuspazieren wage, sehe man einen gefährlichen Überhebling in ihm. Das begreife wer wolle, ein solches Spiel sei verdammungswürdig. Das war heftig, war unvorsichtig, es sei gestanden, doch muß ich hinzufügen, daß mich die ironische Ruhe des Polizeileutnants aufreizte. Um so verblüffter war ich, als er mir nun in jedem Punkt beipflichtete, sich aber auf keine weitere Erörterung einließ und sich wieder zu dem Diener kehrte, indem er Eile vorschützte, da er nicht in so später Nacht abreisen wolle. Herr Binder bemerkte ihm darauf, daß die Abfahrt sehr gut bis morgen verschoben werden könne, Caspar bedürfe der Ruhe, die Verantwortung sei er bereit auf sichzu nehmen. Herr Hickel versetzte, das sei unmöglich, er habe strikten Befehl und müsse auf seiner Anordnung bestehen. Wir waren ratlos.
    Der Polizeileutnant hatte sich auf den Tischrand gesetzt und blickte uns Schweigende spöttisch-erwartungsvoll an. Da vernahmen wir Schritte, und als wir uns umwandten, die Türe stand offen, sahen wir Caspar und hinter ihm meine Schwester. Anna flüsterte mir zu, Caspar sei kurz nach unserm Fortgehen erwacht, er habe erklärt, mit dem fremden Mann gehen zu wollen, und sich durch keinen Einwand zurückhalten lassen; so habe sie ihn denn begleitet.
    Caspar schaute sich forschend um, dann sagte er, zu Herrn Hickel gewandt: »Nehmen Sie mich nur mit, Herr Offizier. Ich weiß schon, wohin Sie mich bringen wollen, ich fürcht’ mich nicht.« Es war in diesen Worten, so wenig Besonderes sie enthielten, ein wunderbarer Antrieb und das, was man Haltung nennt, und ich kann nicht verhehlen, daß ich durch sie aufs tiefste bewegt wurde. Ich hätte viel darum gegeben, wenn ich Caspar jetzt eine Stunde lang für mich allein hätte haben können. Der Herr Polizeileutnant verbarg seine Freude über die unvermutete Wandlung nicht und antwortete lachend: »Na, fürchten, Hauser! Warum nicht gar! Es geht ja nicht nach Sibirien!« Er näherte sich nun dem Jüngling, legte beide Hände auf dessen Schulter und fragte: »Jetzt seien Sie einmal ganz offen, Hauser, und sagen Sie mir ohne Umschweife, wo Sie den Nachmittag über gesteckt haben?« Caspar schwieg und besann sich, dann entgegnete er dumpf: »Das kann ich Ihnen nicht sagen.« – »Ja wie denn, was denn, was soll das heißen, herausmit der Sprache!« rief der Leutnant, und Caspar darauf: »Ich hab’ was gesucht.« – »Ja, was denn gesucht?« – »Einen Weg.« – »Zum Donnerwetter,« begehrte Herr Hickel auf, »spielen Sie mir kein Theater vor und machen

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