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Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Titel: Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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versagt sein, denn du hast die Kaufsumme für das Glück zum voraus entrichtet, die wir andern täglich in kleiner Münze bezahlen müssen. Und bezahlt muß werden, alles muß bezahlt werden, das ist der Sinn des Lebens.«
    »Du versprichst also, in einem Jahr wieder dazusein?«
    »In einem Jahr.«
    Caspar bohrte die Finger in Stanhopes Hand und richtete einen tiefen, seltsam seelenhaften, seltsam stolzen Blick auf den Lord, der seinerseits die Augen senkte, während sein Gesicht steinalt aussah. Als er in sein Zimmer zurückging, begann er plötzlich leise plappernd das Vaterunser zu beten.
    Erst gegen Morgen entschlief er wieder. Als er sich mittags erhob, war Caspar längst auf; er saß am Fenster und schien die Eisblumen zu studieren.
    Um ein Uhr verließ er mit ihm das Hotel. Arm in Arm, ein Schaugepränge für die Einwohnerschaft, spazierten sie über den hochliegenden Schnee durch das Herrieder Tor zum Markt. Dort war eine große Versammlung von Bauern und Händlern. Vor dem Portal der Gumbertuskirche blieb Stanhope stehen und forderte Caspar auf, mit hineinzugehen. Caspar zögerte, folgte jedoch dem Grafen in den hohen, schmucklosen, von schwarzem Gebälk überdachten Raum.
    Mit raschen Schritten eilte Stanhope zum Altar, warf sich mit den Knien auf die steinernen Stufen, beugte die Stirn herab und verblieb so in vollkommener Unbeweglichkeit.
    Caspar, peinlich berührt, schaute sich unwillkürlich um, ob niemand Zeuge dieser demütigen Handlung sei. Aber die Kirche war leer. Warum krüppelt er sich so zusammen, dachte er verstimmt, Gott kann doch nicht im Boden drinnen sein. Allmählich ward ihm bange; das Schweigen des riesigen Raumes strömte bis in seine Brust. Und wie er nun in die Höhe blickte, sah er oben, durch ein geöffnetes Bogenfenster, wie die Sonne mit Macht die winterlichen Nebel zu gewältigen suchte. Da rötete sich sein bläßliches Gesicht zu schüchterner Freude und das Schweigen in seiner Brust wandelte sich zu einer hinaufziehenden Verehrung.
    »O Sonne,« sagte er halblaut und mit einfältiger Inbrunst, »mach doch, daß alles nicht so ist, wie es ist. Mach es doch anders, Sonne. Du weißt ja, wie es ist; du weißt ja, wer ich bin. Scheine nur, Sonne, daß meine Augen dich immer sehen können, immer wollen dich meine Augen sehen.«
    Indem er so sprach, flutete eine goldene Lichtwelle bis auf die kreidig-weißen Fliesen, und Caspar, sehr zufrieden, meinte, die Sonne hätte ihm damit auf ihre Weise eine Antwort erteilt.
Man erfährt einiges über Herrn Quandt sowie über eine vorläufig noch ungenannte Dame
    Die Übersiedlung Caspars ins Lehrerhaus fand ohne Zwischenfälle statt.
    »Nun wohlan denn,« sagte Quandt während der ersten gemeinsamen Mahlzeit, als die Suppenschüssel aufgetragen wurde, »jetzt beginnt für Sie ein neues Leben, Hauser. Hoffentlich ist es ein Leben der Gottesfurcht und des Fleißes. Wenn wir uns lobenswert betätigen und in unsern Gedanken nicht den Schöpfer aller Dinge vergessen, wird unser irdisches Bemühen stets von Erfolg gekrönt sein.«
    Nach Tisch mußte Quandt zur Schule, und als er um vier Uhr zurückkam, erkundigte er sich beflissen, was Caspar die Zeit über getrieben habe. Seine Frau konnte ihm nur ungenügenden Bescheid geben, und er tadelte sie deshalb. »Wir müssen aufpassen, liebe Jette,« sagte er, »wir müssen die Augen offen halten.«
    In der Tat, Quandt paßte auf. Wie ein emsiger Buchhalter legte er in seinem Innern ein Konto an, um alle Worte und Handlungen seines Pflegebefohlenen zu verzeichnen. Bei dieser umsichtigen Geschäftsführung stellte es sich bald heraus, daß Soll und Haben einander nicht dieWage hielten, daß die Schuldseite nach und nach bedenklich überlastet wurde. Das betrübte den Lehrer aufrichtig; jedoch gab es ein geheimes Winkelchen in seiner Brust, worin er sich dessen freute.
    Es war nämlich mit diesem Manne derart beschaffen, daß er in einer merkwürdigen Zweiheit existierte. Der eine Teil war die öffentliche Person, der Bürger, der Steuerzahler, der Kollege, das Familienhaupt, der Patriot; der andre Teil war sozusagen der Quandt an sich. Jener war ein Heros der Tugend, eine wahre Mustersammlung von Tugenden; dieser lag versteckt in einer stillen Ecke und belauerte die liebe Gotteswelt. Die öffentliche Person, der Bürger, der Patriot nahm herzlichen Anteil an den allgemeinen Angelegenheiten, wohingegen der Quandt an sich vergnügt die Hände rieb, wenn irgendwo irgendwas passierte: sei es nun ein

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