Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Titel: Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
Vom Netzwerk:
es meinetwegen reiten. Ich habe dich nicht getäuscht: du bist durch deine Abkunft den mächtigsten unter den Fürsten ebenbürtig, du bist das Opfer der scheußlichsten Kabale, die Satans Bosheit je ersonnen hat; hättest du keine andre Instanz zu fürchten als die der Tugend und des moralischen Rechts, dann säßest du nicht hier, und ich wäre nicht gezwungen, dich so zu warnen, wie ich es jetzt tue. Denn merk auf. So gegründet deine Ansprüche, deine Hoffnungen sind, so verderblich müssen sie dir werden, sobald sie dich nur den ersten Schritt zum vorgefaßten Ziele lenken. Die erste Handlung,das erste Wort besiegelt unabänderlich deinen Tod. Du wirst vernichtet sein, eh du noch den Finger ausgestreckt hast, um zu nehmen, was dir gebührt. Vielleicht kommt eine Stunde, morgen oder in einem Monat oder in einem Jahr, wo du an der Aufrichtigkeit dessen, was ich dir sage, zweifeln könntest; nun, so beschwöre ich dich: glaube mir! Laß deine Lippen siebenfach vernietet sein. Fürchte die Luft und den Schlaf, daß sie dich nicht verraten. Möglich, daß einst der Tag kommt, an dem du sein darfst, was du bist, aber bis dahin halte still, wenn dir dein Leben lieb ist, und laß dein Holzpferdchen hübsch im Stall.«
    Langsam hatte sich Caspar erhoben. Ein übergewaltiger Schrecken donnerte, vielgestaltig wie die Blöcke eines Felssturzes, um ihn her. Um seine Gedanken anderswo hinzulenken, betrachtete er mit einer an Wahnsinn grenzenden Aufmerksamkeit die leblosen Gegenstände: Tisch, Schrank und Stühle, den Leuchter, die Gipsfiguren am Kamin, den krummgebogenen Schürhaken. War ihm dies alles neu oder nur unerwartet? Keineswegs. Es hatte, wie giftige Luft, schon lange um ihn her gebrütet. Aber ein andres das bloße Ahnen und Spüren und ein andres das zermalmende Wissen.
    Auch Stanhope war aufgestanden; er trat nahe vor Caspar hin und fuhr mit eigentümlich näselnder Stimme fort: »Es hilft nichts; in diesem Zeichen bist du eben geboren; in diesem Zeichen hat dich deine Mutter geboren. Das ist das Blut. Es richtet dich und rechtfertigt dich; es ist dein Führer und dein Verführer.«
    Und nach einer Weile: »Laß uns nun schlafengehen, es ist spät. Morgen früh wollen wir in die Kirche und beten. Vielleicht schickt uns Gott eine Erleuchtung.«
    Caspar schien nicht zu hören. Blut! das war das Wort. Das war die Kraft, die alle Poren seines Wesens durchdrang. Schrie nicht sein Blut aus ihm, und von fernher wurde der Schrei erwidert? Blut trug aller Erscheinungen Grund, verborgen, wie es war, in Adern, im Gestein, in Blättern und im Licht. Liebte er sich nicht in seinem Blut, spürte er nicht die eigne Seele wie einen Spiegel aus Blut, in dem er sich ruhend beschauen konnte? Wieviel Menschen in der Welt, so nahe beieinander, so reich bewegt, so fremd und stumm, und alle durch einen Strom von Blut wandelnd, und sein Blut doch besonders rauschend, ein besonderes Ding, in einsamem Bette fließend, voll von Geheimnissen, unbekannter Schicksale voll!
    Auch als er den Blick wieder gegen den Grafen kehrte, war es, als wandle der durch Blut, eine Vorstellung, die freilich durch die scharlachfarbene Tapete begünstigt, wenn nicht erzeugt wurde. Wenn man die Kerzen verlöscht, dachte Caspar, wird alles tot sein, das Blut und die Worte, er und ich; ich will nicht schlafen diese Nacht, nicht sterben. Ja, Caspar hätte, was sein Mund geredet, gern wieder in sich hineingeschluckt, in jenen Kerker des Leibes gesperrt, der Schweigen hieß. Gehorsam sein, unwissend sein, unglücklich sein, Schande und Schimpf ertragen, die Stimme des Blutes ersticken, nur nicht sterben müssen, nur leben, leben, leben. Ei, man wird sich fürchten, man wird feig sein wie eine Maus, man wird Türen und Fenster verriegeln, man wird dieTräume vergessen, den Freund vergessen, man wird sich klein machen, man wird das Holzpferdchen vergraben, aber man wird leben, leben, leben ...
    Der Lord wünschte, daß Caspar nicht in seiner Mansarde, sondern hier unten nächtige. Er befahl dem Aufwärter, ein Bett auf dem Sofa zu richten. Indes Caspar sich entkleidete, ging er hinaus, kam jedoch nach einiger Zeit wieder, überzeugte sich, daß der Jüngling ruhig lag, und verlöschte die Lichter. Die Verbindungstür zu seinem Zimmer ließ er offen stehen.
    Ungeachtet seines Vorsatzes schlief Caspar bald ein und nahm sein aufgewühltes Gemüt in den Schlummer hinüber. Er mochte vier bis fünf Stunden geschlafen haben, als sich sein bleiernes Daliegen in ein

Weitere Kostenlose Bücher