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Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Titel: Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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Hände auf dem Rücken, auf und ab wanderte und widerwillig, hastig, stoßweise zu reden begann. »Willst du mich etwa anklagen? Soll ich mich rechtfertigen? Goddam, ich habe für dich gekämpft wie für mein eigen Fleisch und Blut, Vermögen und Ehre zum Pfand gesetzt,keine Demütigung gescheut, mich unter Pöbelvolk und Pedanten herumgeschlagen, was denn noch? Wer das Unmögliche von mir verlangt, ist mir nicht wohlgesinnt. Noch ist nicht aller Tage Abend, das Garn ist noch nicht abgewickelt, ich stelle noch immer meinen Mann, aber ich muß mir verbitten, daß du mich wie den Aussteller eines Schuldscheins beim Buchstaben packst und meine schöne Freiwilligkeit unter moralischen Druck setzest. Wenn du von mir forderst, anstatt das Gewährte dankbar zu erkennen, dann sind wir geschiedene Leute.«
    Was er doch alles spricht, dachte Caspar, der kaum zu folgen vermochte.
    Der nächste Gedanke Stanhopes war, Caspar habe vielleicht eine geheime Verbindung und von daher Lehre und Ermunterung empfangen, denn er sah wohl, und mit Angst nahm er es wahr, daß er nicht mehr das willenlose Geschöpf von ehedem vor sich hatte. Aber auf seine rauh zufahrende Frage machte Caspar ein so verwundertes Gesicht, daß er den Argwohn sogleich fallen ließ. Caspar legte die Hände flach zusammen und sagte nun in seiner um Deutlichkeit bemühten Weise, er habe Stanhope nicht kränken wollen, auch mit dem Ring nicht; es sei nur etwas geschehen, was die Geschichten betreffe; man habe ihm immer Geschichten erzählt, Geschichten von ihm selbst, er habe zugehört und doch nicht ordentlich verstanden. Es sei wie mit dem Holzpferdchen gewesen, mit dem er in seinem Kerker geredet und gespielt und das doch nichts Lebendiges gewesen sei. »Aber jetzt,« fügte er stockend hinzu, »jetzt ist das Holzpferdchen lebendig geworden.«
    Stanhope warf den Kopf zurück. »Wie?was denn?« rief er schnell und furchtsam, »sprich deutlich.« Er nahm die Lorgnette und schaute Caspar stirnrunzelnd durch die Gläser an, eine Gebärde, die Hochmut ausdrücken sollte, aber im Grunde nur Verlegenheit war.
    »Ja, das Holzpferdchen ist lebendig geworden,« wiederholte Caspar bedeutungsvoll.
    Ohne Zweifel glaubte er mit diesem kindlichen Sinnbild alles dargelegt zu haben, was ihm das entschleierte Antlitz der Vergangenheit verraten hatte. Er mochte die Gewalten ahnen, die sein Schicksal geformt hatten, und jedenfalls begriff er das Wirkliche, das schwer von Gründen Wirkliche seiner langen Gefangenschaft, die ihn, außerhalb der Gesetze, bis über das Jünglingsalter hinaus zum Zustand eines Halbtiers verurteilt hatte. Es mochte ihm klar geworden sein, daß es sich dabei um eine Sache handelte, der in den Augen der Menschen ein hoher, ja der höchste Wert zukam; daß sein Anrecht auf diese Sache ungeschmälert fortbestand und daß, wenn er nur hinginge, um zu zeigen, daß er lebe, um zu sagen, daß er wisse, aller Widerstand und Willkür zu Ende sei und er besitzen durfte, wessen er freventlich beraubt.
    Das war es etwa, aber es war noch mehr. Und es fügte sich, daß der Lord selbst, in Angst für sich, für seine Auftraggeber, für die Zukunft, für das ganze Gebäude, an dem er mitgezimmert und von dem er, wenn es zusammenbrach, vielleicht mit zerschmetterten Gliedern in eine bodenlose Tiefe stürzen mußte, daß er selbst das Wort fand und aussprach, welches dies andre, Größere, Unsagbare für Caspar zauberhaft und schrecklich erleuchtete.
    Beinahe fühlte sich Stanhope besiegt, und er hatte nur noch wenig Lust, gegen eine Macht zu kämpfen, die gleichsam aus dem Nichts entstanden war und wie der Ifrid aus Salomons Wunderflasche den ganzen Himmel verfinsterte. Ich war zu großmütig, dachte er; ich war zu lau; Wankelmut trägt die eigne Haut zu Markt; läßt man die Träumer aufwachen, so greifen sie nach den Zügeln und machen die Rosse scheu; das süße Zeug schmeckt nicht länger, nun gilt es Salz in den Brei zu tun.
    Er setzte sich an den Tisch, Caspar gegenüber, und indem er beim Sprechen kaum die Zähne voneinander entfernte und fortwährend düster und blicklos lächelte, sagte er: »Ich glaube dich zu verstehen. Man kann es dir nicht verübeln, daß du Schlüsse aus meinen, wie ich bekennen muß, ein wenig unvorsichtigen Erzählungen gezogen hast. Ich werde in diesem Augenblicke sogar noch weiter gehen und dir an Deutlichkeit nichts zu wünschen übriglassen. Ich will dein lebendig gewordenes Holzpferdchen aufzäumen, und wenn du dann Lust hast, kannst du

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