Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens
ein ungläubiges Gesicht. »Das hat er geschrieben?« fragte er stockend.
Hickel nickte.
»Er hat sich auch damals zu sehr geärgert über die Heimlichtuerei mit dem Tagebuch,« sagte Quandt.
»Das werd’ ich ihm alles erklären, wenn er wiederkommt,« versetzte Caspar.
Hickel rieb den Rücken an der Ofenecke und lachte. »Wenn er wiederkommt! Wenn! Werweiß aber, ob er wiederkommt? Mir deucht, er hat nicht allzu große Lust dazu. Glauben Sie denn, Sie Kindskopf, so ein Mann hat nichts Besseres zu tun, als seine Zeit dahier zu versitzen?«
»Er kommt wieder, Herr Polizeileutnant,« sagte Caspar mit triumphierendem Lächeln.
»Oho, oho!« rief Hickel, »das klingt ja allerdings verläßlich. Woher weiß man denn das so genau?«
»Weil er es versprochen hat,« entgegnete Caspar mit treuherziger Offenheit. »Er hat heilig versprochen, in einem Jahr wieder da zu sein. Am achten Dezember hat er’s versprochen, sind also noch zehn Monate und sechzehn Tage bis dahin.«
Hickel sah Quandt an, Ouandt sah seine Frau an, und alle drei brachen in Gelächter aus. »Im Rechnen scheint er sich ja geübt zu haben,« meinte Hickel trocken. Dann legte er Caspar die Hand auf den Kopf und fragte: »Wer hat Ihm denn die herrlichen Locken abgeschnitten?«
Quandt erwiderte, Caspar habe es selbst gewünscht, nachdem er ihm vorgestellt, daß es für einen erwachsenen Menschen nicht schicklich sei, mit so einem Haarwald herumzulaufen. »Sie können jetzt schlafen gehen, Hauser,« sagte er hierauf.
Caspar reichte jedem die Hand und ging. Als er draußen war, öffnete Quandt leise die Tür und lauschte. »Sehen Sie, Herr Polizeileutnant,« flüsterte er Hickel bekümmert zu, »wenn er weiß oder annimmt, daß man ihn hört, steigt er ganz langsam und bedächtig die Stiege hinan, wenn er sich aber unbeachtet glaubt, da kann er wie ein Hase springen, gleich über drei Stufen auf einmal. Ist’s nicht so, Frau?«
Die Lehrerin bestätigte es; und wieviel Umstände er einem mache, fügte sie verdrossen hinzu; jetzt sei er sechs Wochen im Haus und habe vierzehn Hemden in der Wäsche; immer müsse er herausgeputzt sein wie eine Docke, und schon in aller Herrgottsfrüh fange er an, seine Kleider zu bürsten.
Sie setzte dem Polizeileutnant ein Gläschen Schnaps vor und ging ins Nebenzimmer, um den Säugling zu stillen, der sich schreiend meldete.
»Ja, es ist des Teufels mit ihm,« setzte Quandt das Lamento seiner Gattin fort; »da hab’ ich neulich einmal aus der ›Bayrischen Deputiertenkammer‹ vorgelesen. Der Hauser stellt sich hinter mich, und wie ich fertig bin, liest er den Titel der Zeitung halblaut für sich hin, wie wenn ihn das Wort verwundere. Nun wird aber doch die ›Bayrische Deputiertenkammer‹ in jedem anständigen Hause gelesen, nicht wahr? Außerdem hat er Tag für Tag Gelegenheit gehabt, das Blatt auf unserm Tisch zu sehen, und der Name konnte ihm unmöglich neu sein. Ich frage also, ob er denn nicht wisse, was das sei, eine Deputiertenkammer. Darauf sagt er mir mit seinem unschuldigsten Gesicht: das sei wohl ein Zimmer, wo man Leute einsperre. Nun bitt’ ich Sie um alles in der Welt, das geht doch über den grünen Klee. Es muß schon ein Engel vom Himmel herunterkommen, damit ich solche Ungereimtheiten auf Treu und Glauben hinnehmen soll, und selbst dann getrau’ ich mich noch zu bezweifeln, ob es auch ein richtiger Engel ist und kein nachgemachter.«
»Was wollen Sie,« antwortete der Polizeileutnant, »es ist alles Schwindel, alles ist Schwindel.« Und indem er sich auf den gespreiztenBeinen hin und her wiegte, loderte in seinen Augen ein unbestimmter, träger Haß.
Alles Schwindel; ein Urteil, das sich nicht etwa bloß auf die vorgetragene Anekdote bezog, sondern auf das ganze, ihm bis zum Ekel gleichgültige Treiben der Menschen, sofern es nicht mit seinem Wohlbehagen verknüpft war. Mochten sie sich einander die Köpfe abhacken, mochten sie über Himmel und Hölle, um König und Land streiten, mochten sie ihre Häuser bauen, ihre Kinder zeugen, mochten sie morden, stehlen, einbrechen, schänden und betrügen oder sich ehrlich rackern und edle Taten vollbringen, ihm war letzten Endes alles Schwindel, ausgenommen der Freibrief für ein sorgenloses Dasein, den ihm die Gesellschaft nach seiner Ansicht schuldig war.
Der Ritter von Lang, der an Hickel wegen seines einschmeichelnden Wesens Gefallen hatte, pflegte gern zu erzählen, wie Hickel einst mit seinem, des Ritters, Sohn, einem jungen Doktor der
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