Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens
habe folgendes erfahren. Das Falkenhaus hat bis vor ungefähr vier Jahren als Försterwohnung gedient, und zwar hat der letzte Förster jahrzehntelang mutterseelenallein dort gelebt. Der Mann hat nie mit irgendeinem Menschen verkehrt, ist nie in einem Wirtshaus gesehen worden und hat seine Einkäufe in den umliegenden Dörfern selbst besorgt. Eines Tages ist er plötzlich verschwunden gewesen, und ein verabschiedeter Gendarm soll ihn im Schwäbischen als Besitzer oder Verwalter eines Gutshofs wiedergesehen haben. Ich bin auch dieser Spur nachgegangen, und es hat sich herausgestellt, nicht nur, daß es damit seine Richtigkeit hat, sondern auch, daß der Mann im Oktober 1830 des Nachts in seinem Bett ermordet worden ist.«
»Davon ist mir nichts bekannt. Ich weiß nur, daß das Falkenhaus verödet und unbewohnt ist und daß im Volk allerlei gespensterhaftes Zeug über die unheimliche Einsiedelei erzählt wird.«
»Richten Sie jedenfalls Ihr Augenmerk darauf,« sagte der Präsident; »am besten, Siesenden einen ortskundigen Mann hin, der sorgfältige Erhebungen einziehen soll.«
»Zu Befehl, Exzellenz. Darf ich fragen, um welchen Fall es sich dabei handelt?«
»Es handelt sich um Caspar Hauser und seine Gefangenschaft.«
»Ah!« Hickel räusperte sich und machte eine Verbeugung, Gott weiß warum.
»Ich glaube mit Bestimmtheit annehmen zu dürfen, daß das Falkenhaus die Stätte seiner grausamen Kerkerhaft ist. Es war mir schon seit den ersten Erzählungen Caspars über die Art seiner Wanderung mit dem Unbekannten zweifellos, daß der Ort in Franken selbst, nicht allzu weit von Nürnberg oder Ansbach zu suchen sei. Nun haben mich die Spuren zum Falkenhaus geführt.«
»Wahrscheinlich brauchen Eure Exzellenz dieses Indizium zu der Schrift über den Hauser,« bemerkte Hickel schmeichelnd.
»So ist es.«
»Und soll die Veröffentlichung des Werks noch in diesem Jahr vor sich gehen? Exzellenz verzeihen meine Neugier, aber ich bin ja herzlich interessiert bei der Sache.«
»Sie fragen mich zu viel, Hickel. Lassen Sie das. Da ist ein Briefchen für den Hofrat Hofmann, geben Sie es draußen zur Beförderung. Ich will mit dem Hofrat und Caspar morgen nach Falkenhaus fahren. Benachrichtigen Sie den Hauser, daß er sich bereithält, erwähnen Sie aber beileibe nichts von dem Zweck der Fahrt.«
Zur festgesetzten Stunde fand sich Caspar ein und sah sich alsbald zu seiner Verwunderung in der bequemen Kalesche gegenüber dem Präsidentenund dem Hofrat sitzen. In selten unterbrochenem Schweigen ging es durch die sonnige Frühlingslandschaft.
Sie langten an. Ein Gang durch das verlassene Waldhaus und die eingehende Prüfung seiner Lokalitäten brachte nicht den geringsten Aufschluß. War ein unterirdischer Raum zu jenem fürchterlichen Gebrauch vorhanden gewesen, so hatte der einstige Bewohner ihn sicherlich verschüttet, und die Zeit hatte alle Merkmale unsichtbar werden lassen.
Da entdeckte das scharf umhersuchende Auge des Präsidenten im Freien neben dem rechten Trakt des Gebäudes eine sonderbar gestaltete Erdgrube. Die Anzeichen ließen darauf schließen, daß sich vordem ein Holzschuppen oder dergleichen darüber erhoben hatte, denn ringsum lagen noch vermorschte Bretter und Balken und rissige Schindeln. Es führten sieben in den Sand geschlagene und schon verfallene Stufen hinab, und unten war die seltsam geglättete Erde von gelblichem Moos bedeckt.
Feuerbach verfärbte sich, als er dieses sah. Nach langem Versunkensein stieg er hinunter, betastete einige Stellen der Wände, bückte sich in einer Ecke auf den Boden, alles dies finster und wortlos. Als er wieder heraufkam, sah er Caspar durchdringend an. Der aber stand ruhig da und ließ den unwissenden Blick in die Tiefen des Forstes schweifen. Ahnt er nichts? dachte Feuerbach; ahnt er nicht, worauf sein Fuß tritt? Weckt ihn kein Hauch der Vergangenheit? Sprechen die Bäume nicht zu ihm? Verrät ihm die Luft nichts? Und da es nicht so scheint, darf ich mich unterfangen, mit einem Jaoder Nein die schauerliche Ungewißheit zu entscheiden?
Der Wagen hielt an der Heerstraße draußen. Beim Rückweg durch den Wald blieb Caspar, den plötzlich eine unbesiegbare Schwermut überfallen hatte, die ihn zu langsamem Gehen zwang, ein großes Stück hinter den beiden Männern.
Der Hofrat Hofmann benutzte die Gelegenheit, um dem Präsidenten seine vernunftgemäßen Zweifel mitzuteilen. »Ich möchte nur eines wissen,« sagte er mit verkniffenem Gesicht, »ich möchte wissen,
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