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Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Titel: Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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heut.«
    »Heruntergestürzt?« flüsterte Caspar aufgeregt.
    »Ja; vom Dachboden ihres Hauses hat sie sich in den Hof gestürzt und den Kopf zerschmettert. Die ganze letzte Zeit her soll sie sich wie eine Verrückte aufgeführt haben.«
    Caspar wußte nichts zu sagen; seine Augen erweiterten sich, und er seufzte.
    »Es scheint Ihnen ja nicht besonders nahezugehen, Hauser,« ließ sich plötzlich die Stimme Quandts vernehmen, der leise hereingetreten war, als er die beiden sprechen gehört hatte.
    Caspar wandte sich um und sagte traurig: »Sie war ein schlechtes Weib, Herr Lehrer.«
    Quandt stellte sich dicht vor ihn hin und rief schneidend: »Unseliger, der du dich nicht entblödest, das Andenken einer Toten zu besudeln! Das soll Ihnen unvergessen bleiben! Nun haben Sie Ihre schwarze Seele enthüllt! Pfui, pfui, sage ich, und abermals pfui! Gehen Sie mir aus den Augen! Fällt es Ihnen denn nicht aufs Herz, daß die Hingegangene am Ende vielleicht durch Sie, durch den Kummer über den erlittenen Undank zu einer solchen Tat getrieben wurde?Ahnen Sie das nicht? Freilich, ein Selbstsüchtling wie Sie schert sich wenig um die Leiden andrer Menschen, ihm ist nur das eigne Wohlergehen wichtig.«
    »Mann, Mann, beruhige dich doch,« mischte sich die Lehrerin ein mit einem scheuen Blick auf Caspar, der aschfahl geworden war und mit völlig geschlossenen Augen dastand, während er die Fingerspitzen seiner Hände gegeneinander gelegt hatte.
    »Du hast recht, Frau,« erwiderte Quandt, »ich vergeude meine Entrüstung an taube Ohren. Was kann an einem Menschen noch zu bessern sein, der selbst dem Tod gegenüber nicht ein bißchen Andacht und Demut aufbringt? Da ist Hopfen und Malz verloren.«
    Als Caspar in sein Zimmer kam, glänzte noch die letzte Glut des Sonnenuntergangs über den Hügeln. Er setzte sich ans Fenster, nahm einen der Blumentöpfe zur Hand und schaute darauf nieder. Die Stengel in den Hyazinthenkelchen schüttelten sich, und ihm war, als vernehme er fernes Geläute. Er wünschte sich das Angesicht einer Blume, um keinen Blick eines Menschenauges erwidern zu müssen. Oder er wünschte wenigstens sich im Schoß einer Blume bergen zu können, solange bis das Jahr vorüber war, von dessen Wende er so vieles hoffte. Dort könnte man stille sein und warten.
    In den nächsten Tagen wurde der Magistratsrätin keine Erwähnung getan, Quandt vermied es sorgfältig, den Namen der Frau Behold zu nennen. Um so mehr war er überrascht, als Caspar selbst davon anfing; am Samstag beim Mittagessen sagte er plötzlich, es gereue ihn, waser über die Tote gesagt, er sehe ein, daß es unrecht sei, eine Verstorbene anzuklagen.
    Quandt horchte hoch auf. Aha, dachte er, sein Gewissen regt sich! Aber er entgegnete nichts, sondern verzog nur das Gesicht, als wolle er sagen: Lassen wir das, ich weiß mein Teil. Doch stach ihn die Galle, und während sie alle drei schweigend die Suppe löffelten, konnte er sich nicht enthalten zu sagen: »Sie müßten sich doch eigentlich bis in den Fußboden hinein schämen, Hauser, wenn Sie an Ihr Benehmen gegen die unschuldige Tochter der Magistratsrätin denken.«
    »Wieso?« versetzte Caspar verwundert. »Was hab’ ich denn getan?«
    »Ei, wollen Sie auch jetzt noch das Lämmchen spielen?« antwortete der Lehrer abschätzig. »Gottlob hab’ ich alles schriftlich und eigenhändig von der Seligen, da hilft kein Leugnen.«
    Caspar staunte unruhig vor sich hin. Er fragte wieder, da ging Quandt zum Sekretär, holte aus einer Schublade den Brief der Frau Behold hervor und las, neben Caspar stehend, mit dumpfer Stimme vor: »Ist viel Gerede gewesen von seinem keuschen Sinn und seiner Innocence in allem Dahergehörigen. Auch hierüber kann ich ein Wörtlein melden, denn ich hab’s mit meinen eignen Augen gesehen, wie er sich meiner damals dreizehnjährigen Tochter ... unziemlich und unmißverstehlich näherte.«
    Caspar begriff allmählich. Langsam legte er Löffel und Brot beiseite, und der Bissen blieb ihm im Munde stecken. Seine Augen wurden ganz dunkel, er erhob sich, rief mit jammernder Stimme: »Ach, diese Menschen, diese Menschen!« und stürzte hinaus.
    Das Ehepaar sah einander an. Die Lehrerin legte die Hand breit auf das Tischtuch und sagte nachdrücklich: »Nein, Quandt, ich kann’s nicht glauben. Da muß sich die selige Rätin geirrt haben. Er weiß doch nicht mal, was eine Frau ist.«
    Auch Quandt war gerührt. »Das eben steht dahin, das wäre zu beweisen,« meinte er kopfschüttelnd. »Du

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