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Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Titel: Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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offen wie mit einem Vater zu ihm reden.
    Diese Worte stimmten Caspar dankbar; er sah in ihnen ein Zeichen von Teilnahme, obgleich er ihren Sinn und Zweck nicht verstand, sondern bloß das trübe Element, aus dem sie stiegen, furchtsam ahnte.
    Er überlegte. »Mit einem Frauenzimmer? Ja wie?« murmelte er.
    »Meine Frage ist doch deutlich, Hauser; stellen Sie sich nicht so kindisch.«
    »Ja, ich versteh’ schon,« sagte Caspar eilig, um die gute Laune des Lehrers nicht zu verscherzen; »und da ist auch was gewesen.«
    »Na, nur heraus damit! Nur Mut!«
    Und harmlos begann Caspar zu erzählen: »So vor ungefähr sechs Wochen hab’ ich meinen Sonntagsanzug zur Putzerin in die Uzensgasse getragen. Sie wissen doch, Herr Lehrer, es ist das kleine Haus neben dem Bäcker. Wie ich hingekommen bin, war der Laden versperrt, da bin ich hinauf in die Wohnung gegangen und hab’ an die Tür geklopft. Da hat mir ein junges Mädle aufgemacht und war im Nachtkleid, weiter hat sie nichts am Leib gehabt, die ganze Brust hat man sehen können, es war scheußlich. Sie hat mir die Sachen abgenommen und hat gesagt, sie wollt’ es der Putzerin ausrichten. Ich war immer noch vor der Tür. Komm nur herein, sagt sie. Da bin ich hinein und frage, was sie will. Da hat sie angefangen vor mir herumzutänzeln, hat gelacht und sonderliches Zeuggeredet, hat mich gefragt, ob ich ihr Bräutigam sein will, und zuletzt –« er zögerte lächelnd.
    »Zuletzt? Was zuletzt?« fragte Quandt, indem er den Kopf weit vorbeugte.
    »Zuletzt hat sie verlangt, ich soll ihr einen Kuß geben.«
    »Nun, und?«
    »Da hab’ ich ihr gesagt, dazu soll sie sich einen andern wünschen, ich versteh’ mich nicht aufs Schmatzen.«
    »Und weiter?«
    »Weiter? Weiter war nichts. Ich bin dann fortgegangen und sie hat mir vom Fenster aus nachgeschaut.«
    »Wie konnten Sie denn das bemerken?«
    »Weil ich mich umgedreht hab’.«
    »Soso. Umgedreht. Wie heißt die Person?«
    »Das weiß ich nicht.«
    »Das wissen Sie nicht? Hm. Und ... ein zweites Mal waren Sie nicht dort?«
    Caspar verneinte.
    »Schöne Geschichten,« murmelte Quandt und erhob sich mit einem Blick zum Himmel.
    Er spürte vorsichtig nach. Er erfuhr, daß bei jener Putzmacherin wirklich ein Frauenzimmer zweifelhafter Gattung zur Miete wohne. Der Erzählung Caspars noch näher auf den Grund zu gehen hinderte ihn die Rücksicht auf seinen Ruf, hatte er doch ohnehin den Eindruck gewonnen, daß der Jüngling an der ganzen Begebenheit so unschuldig nicht sein konnte, als er sich anstellte; denn, so argumentierte er, zu einem derartig niedrigen Benehmen wie dem jenes weiblichen Geschöpfs kann nur ein Mensch Anlaß geben, dem eine gewisse moralische Unzulänglichkeit auf der Stirn geschrieben steht.
    Ja, wenn er nicht lügen würde, dann wäre alles anders, dachte Quandt; aber er lügt, er lügt, und das ist das Fürchterliche. Hat er mir nicht erzählt, die Herzogin von Kurland habe ihm ein Dutzend gestickter Taschentücher geschenkt? Kein Wort wahr. Hat er nicht behauptet, er kenne den Ministerialrat von Spieß und habe im Schloßtheater mit ihm gesprochen? Lüge. Hat er nicht dem Musikus Schüler weisgemacht, er habe die Idyllen von Geßner gelesen, und als ich ihn danach fragte, wußte er kein Wort darüber zu sagen, wußte nicht einmal, was eine Idylle ist? Gibt er nicht immer vor, dringende Besorgungen zu haben, einmal für den Präsidenten, das andre Mal für den Hofrat, und später zeigt es sich, daß er bloß herumgebummelt ist, um einen neuen Schlips spazierenzutragen? Steht das nicht alles fest, oder bin ich selbst so dumm und so ungerecht, daß ich diesen Dingen eine Bedeutung zumesse, die niemand sonst darin finden kann?
    Quandt wandte sich an den Pfarrer Fuhrmann und legte ihm Punkt für Punkt die verdammenswerten Vergehungen vor.
    »Sehen Sie denn nicht, lieber Quandt,« sagte darauf der Pfarrer, »daß das lauter armselige, kleine Lüglein sind, kaum daß sie den Namen verdienen? Es ist das mehr ein Sichliebmachenwollen oder eine durch ihre Ohnmacht bemitleidenswerte Anstrengung, Fesseln abzustreifen, oder gar nur das harmlose Vergnügen an einem Wort, an einer Redensart. Vielleicht spielt er nur mit seiner Zunge, wie er andre Menschen damit spielen sieht, nur eben viel ungeschickter.«
    »So?« ereiferte sich Quandt, »dann will ichIhnen, Hochwürden, eine Geschichte erzählen, die den strikten Beweis des Gegenteils erbringt. Hören Sie zu. Vorige Woche findet unsre Magd des Morgens seinen

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